Sätze wie „Mama, mit ist langweilig“ oder „Och, ist das langweilig“ haben wir alle, die noch aus der Steinzeit – sprich der Zeit vor dem Smartphone – kommen, tausendfach gestöhnt. Langeweile war aus der Rücksicht ein überall auftauchendes Phänomen.
Meine Eltern drückten mir entweder das Schuhputzzeug – Schuhe putzen war Kinderarbeit – oder ein Buch in die Hand. Gern fiel auch der Satz, sich doch um die Schularbeiten zu kümmern oder raus zu gehen.
„Mir ist langweilig“ – diesen Satz habe ich schon lange nicht mehr gehört. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Langeweile ausgestorben ist. Kann sein, dass ich mich irre, aber egal ob ich irgendwo in einem Wartetraum sitze, Zug fahre oder sonstwo zum Warten verdammt bin, nirgendwo quengelt ein Kind, sieht jemand genervt auf die Uhr. Es scheint sich wirklich niemand mehr zu langweilen.
Wenn die Langeweile wirklich ausstirbt, dann wird es Zeit, wieder einmal Wikipedia zu bemühen und nachzulesen, was das Online-Lexikon zu diesem Schlagwort verrät: Langeweile, auch (österr.) Fadesse oder (franz.) Ennui [ɑ̃ˈny˘iː], ist das unwohle, unangenehme Gefühl, das durch erzwungenes Nichtstun hervorgerufen wird oder bei einer als monoton oder unterfordernd empfundenen Tätigkeit aufkommen kann.
Nun ist es ja nicht so, dass wir heute nicht weniger warten müssen als früher. Ich habe zumindest nicht den Eindruck, dass das so ist. Doch wir gehen mit diesem erzwungenen Nichtstun anders um. Man beobachte mal Menschen in einem Warteraum einer Arztpraxis. Einerseits gibt es Leute, die stehen schon mit dem Handy in der Hand an der Anmeldung. Die meisten haben es aber noch in der Tasche. Man sucht sich dann einen Platz, grüßt eventuell einen Bekannten, tauscht sich über seine zumeist nicht lebensbedrohlichen Krankheiten sowie die aller anderen Bekannten aus. Andere greifen zu den ausliegenden Zeitschriften. Es gibt sogar Leute, die zücken ein Buch aus der Tasche.
Letztere interessieren erst dann wieder, wenn irgendwo ein Handy klingelt. Alle – fast alle – zücken aber spätestens nach wenigen Minuten ihr Mobiltelefon. Dann werden Mails gecheckt. Ich bezweifel, dass alle, die da gespannt auf den Bildschirm starren überhaupt neue Mails erhalten haben. Vielleicht werden die ja erst dann gelesen, wenn Langeweile droht. Es dauert nicht lange, schon trommeln die Finger auf der Tastatur die Antworten. Dann ist erst mal Ruhe. Doch bis die Langeweile wieder die Oberhand gewinnt, dauert es meist nur wenige Minuten. Spätestens dann wird das Handy wieder gezückt. Vielleicht sitzt ja irgend jemand auch in einem Warteraum und langweilt sich. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er geantwortet hat. Doch zumeist blickt man dann in enttäuschte Gesichter. Mir fällt dann immer das Lied von Max Raabe ein: „Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich“.
Ja, auch ich zücke hin und wieder das Handy, immer dann wenn mir die Vibration in der Hosentasche anzeigt, dass neue Mails eingetroffen sind. Das passiert alle 15 Minuten. Ansonsten vertreibe ich mir die Langeweile eben genau damit, meine Mitmenschen zu beobachten. Ich nenne das dann auch nicht Langeweile, sondern Müßiggang. Dem gebe ich mich übrigens gern einmal hin, komme aber viel zu wenig dazu.
Sie wissen nicht so genau, was nun wieder Müßiggang ist? Hier noch einmal Wikipedia: Müßiggang bezeichnet das Aufsuchen der Muße, das entspannte und von Pflichten freie Ausleben, nicht die Erholung von besonderen Stresssituationen oder körperlichen Belastungen. Er geht z. B. mit geistigen Genüssen oder leichten vergnüglichen Tätigkeiten einher, kann jedoch auch das reine Nichtstun bedeuten.
Irgendwie klingt das wie eine Beschreibung meines Frühstücks. Darum kümmere ich mich jetzt.
Ihnen wünsche ich ein genussvolles Sonntagsfrühstück, wenig Langeweile und hin und wieder eine Portion Müßiggang.
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