Morgengruß von Helmut Harff: Weißt Du noch?

Schlimm, wenn Sätze so beginnen...

Wissen Sie, woran man merkt, dass man alt wird? Nein, das sind nicht die grauen Haare, das ist auch nicht der wachsende Bauchumfang oder  das heimliche Schielen nach der blauen Pille. Es ist auch nicht die Tatsache, dass einen Frau noch als jung gilt, wenn sie schon über 40 ist.

Man merkt das nicht einmal daran, wenn man nicht mehr mit junger Mann, sondern mit "Mein Herr" angesprochen wird. Es ist viel, viel simpler: Man merkt es daran, dass immer mehr Sätze mit "Weißt Du noch..." beginnen. Ich finde, hier muss die Politik schnell handeln und so einen Satzbeginn gegenüber Männern im besten Alter - also so ab 60 - nicht nur verbieten, sondern auch mit hohen Strafen belegen. Es gibt nur noch etwas, was schlimmer ist. Was? Wenn man sich nach so einem Satzbeginn gar nicht mehr erinnern kann, wie das einst war.

Sie ahnen, warum ich mir gerade heute darüber Gedenken mache? Nein, mein 60. Geburtstag gehört längst in die Kategorie "Weißt Du noch...". Nein, ich meine auch nicht Sie oder Sie, die heute 60 werden. Wobei, Sie können sich ganz sicher angesprochen fühlen. Ich bin gerade zu Besuch bei einem Jubilar - einem der seinen 60. feiert.

Er hat nicht nur die Familie, sondern auch ganz viele alte Freunde, Weggefährten  und Rallye-Kumpels eingeladen. Kein Wunder, dass man in Erinnerungen schwelgt. Wenn ich für jeden Satz, der an diesem Wochenende mit "Weißt Du noch..." oder zumindest so ähnlich beginnt, einen Euro bekommen würde, wäre ich zwar nicht reich, aber könnte mir sicherlich einen kostspieligen Wunsch erfüllen.

Aber, und hier kommt ein dickes aber: Ich erinnere mich an einen mehr gesprochenen als gesungenen Song - heute hieße das RAP - von Kurt Jürgens. Der sprach einst (Weißt Du noch...) alle sechzigjährigen an, als er rappte:
Sechzig Jahre und kein bisschen weise
aus gehabtem Schaden nichts gelernt.
Sechzig Jahre auf dem Weg zum Greise
und doch sechzig Jahr' davon entfernt.


Ja, dass tolle ist, das man als Mann mit 60 noch voller Pläne ist, dass man manchmal lausbübischer ist, als mit 30. Und noch toller ist, dass man viele seiner Träume, seiner Ideen, seiner Pläne auch noch in die Tat umsetzen kann - auch wenn einiges etwas schwerer fällt. Man weiß wie es geht, man hat das nötige Selbstbewusstsein, man hat vielleicht auch mehr Zeit und auch die Mittel, es sich auch mit 60 zeigen zu können. Man muss sich mit 60 eigentlich nichts mehr beweisen - aber man will und man kann es.

Das ist das schöne, wenn man heute 60 wird. Man blickt zurück, es gibt viel zu erzählen, viele Erfahrungen, vieles zum Lachen, es gibt einige Verwundungen - manche sichtbar, manche auf der Seele - , aber es gibt auch die Freude auf die Zukunft. Mit 60 liegen noch sehr viele Jahre vor einem, nicht alle werden einfach, aber das Leben macht auch dann so richtig Spaß.

Wir wissen ja alle spätestens seit Udo Jürgens, dass das Leben erst mit 66 so richtig anfängt. Da brauchen also alle, die heute oder irgendwann 60 werden vor allem eins: Noch ein bisschen Geduld.

Ich habe jetzt keine Geduld mehr und brauche meinen Frühstückskaffee.

Ihnen wünsche ich ein genussvolles Frühstück und allen Geburtstagskindern und vor allem allen 60-jährigen viele Spaß und Weißheit im neuen Lebensjahr.

Foto: Pixabay

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