Morgengruß von Helmut Harff: Mein Feiertag

… mein nationaler Gedenktag

Der 9. November ist ganz sicher eines der bedeutendsten Daten in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das begann am 9. November 1918 mit der Ausrufung der ersten deutschen Republik und endete mit der Öffnung der Mauer.

Dazwischen lagen 1923 der Hitler-Ludendorff-Putsch und vor allem die Novemberpogrome gegen die jüdischen Mitmenschen in Deutschland 1938. An diesen Daten ist merkwürdig, dass die nahezu zeitgleiche Ausrufung der Republik durch den SPD-Politiker Philipp Scheidemann unter bürgerlich-demokratischen und durch den Führer des Spartakusbundes Karl Liebknecht unter sozialistischen Vorzeichen und damit das Ende des deutschen Kaiserreiches, aber auch der Hitler-Ludendorff-Putsch nur in wenigen Köpfen tatsächlich präsent sind.

Das ist bei den Novemberpogromen und der Maueröffnung ganz anders. Aber auch hier gibt es etwas besonderes: Zum einen spricht man völlig unsinnig und verharmlosend von der Reichskristallnacht und zum anderen vom Mauerfall. Der offensichtliche Beginn des geplanten Terrors gegen Juden hat nichts mit einer Kristallnacht zu tun, auch wenn da viel Kristall zerbrochen und gestohlen wurde.

Und die Mauer in Berlin? Die ist nicht gefallen, die wurde zuerst an einer Stelle geöffnet. Das passierte um 21:20 Uhr am Grenzübergang Bornholmer Straße auf der Bösebrücke. Die dort die Grenze sichern sollten – auch mit der Schusswaffe – sahen keinen Ausweg mehr, die Menschen vor ihrer Kontrollstelle anders zu besänftigen. Die waren in Massen an die Grenze gekommen, nach dem die SED in Person von ZK-Sekretär Günter Schabowski die sofortige Reisefreiheit ohne Angabe von Gründen verkündet hatte.

Klar, ohne die Solidarność in Polen, ohne die Vorgänge in Ungarn, ohne die tausenden DDR-Flüchtlinge, ohne die Bürgerbewegungen und die insgesamt Millionen Demonstranten auf den Straßen der DDR – ob in Plauen, ob in Leipzig, ob in Berlin oder anderswo - wäre es nie zu so einem Reisegesetz in der DDR gekommen. Und doch ist es so, dass die, die die Mauer 1961 bauen ließen, diese auch wieder öffneten. Für den Abriss waren dann schon andere verantwortlich.

Und noch eines ist am 9. November 1989 anders als an den anderen „Schicksalstagen der Deutschen“: Es floss kein Tropfen Blut, es bekam nicht einmal jemand eine blutige Nase. Lediglich viele Freudentränen waren zu trocknen. Es war der erste bedeutende 9. November des 20. Jahrhunderts, an dem nicht Deutsche auf Deutsche schossen.
 
Ich frage mich bis heute, warum die Öffnung des Antifaschistischen Schutzwalls so völlig problemlos über die weltgeschichtliche Bühne ging. Ich frage mich, wo das „Schild und Schwert der Partei“ – die Staatssicherheit war, wo die „Kampfgruppen der Arbeiterklasse“, wo die Volkspolizei, wo die Nationale Volksarmee alle waren, dass die so massiv gesicherte Grenze zwischen den beiden Weltsystemen innerhalb von Stunden so löchrig wie ein Schweizer Käse wurde.

Ich frage mich auch, warum man an diesem und den Tagen zuvor keine Waffen an die Kampfgruppen – das war eine paramilitärische Einheit – ausgegeben hatte, warum keine allgemeine Mobilmachung verkündet wurde, warum nicht schwer bewaffnete Einheiten von Staatssicherheit und Polizei sichtbar vor wichtigen Gebäuden aufgezogen sind. Glaubte man nicht, dass die Millionen protestierenden DDR-Bürger es ernst meinten? Hatte man Angst ohne die Rote Armee im Rücken nichts ausrichten zu können? Oder war es so, dass man auf keinen Fall wollte, dass Deutsche auf Deutsche schießen, dass sich DDR-Bürger gegenseitig umbringen?

Wenn man mal zurück blickt und von den Mauertoten absieht – die es nie hätte geben dürfen – so hat die Staatsmacht der DDR, also die SED, nie auf die eigenen Leute schießen lassen. Selbst der Arbeiteraufstand 1953 ist von sowjetischen Panzern niedergewalzt worden.

Die DDR war schon ein merkwürdiges Land. 

Eines war aber auch da so: Früh setzte man sich an den Frühstückstisch. Das mache ich jetzt auch – mit der Besten Frau der Welt.

Ich wünsche Ihnen ein genussvolles Frühstück und uns allen, dass endlich der 9. November ein Feiertag wird.

Foto: Pixabay

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