Ein E-Bike-Rahmen für alle?

Eine Studie des Vereins Extra Energy

[pd‑f/tg] Rund eine Million E‑Bikes wurden 2019 in Deutschland verkauft. Fast 99 Prozent davon, das zeigt eine Studie des Vereins Extra Energy, waren mit einem Mittelmotor ausgestattet – 69 Prozent sogar mit dem von Bosch.

Nicht jeder E‑Bike-Fahrer ist jedoch mit dem Mittelmotor des Marktführers glücklich. Die Nachfrage wird stetig differenzierter. Das betrifft sowohl die Motoren als auch deren Position und das Rahmendesign. Um dabei preislich wettbewerbsfähig zu bleiben, greifen E‑Bike-Hersteller unter anderem auf so genannte Rahmenplattformen zurück. Was es damit auf sich hat und welche Folgen das hat, zeigt der pressedienst-fahrrad.

E‑Bike-Plattformen helfen, Antriebs-Alternativen schnell und möglichst unkompliziert auf den Markt zu bringen und dabei Ressourcen einzusparen. Dabei wird von einem Zulieferer ein fertiger Rahmen mit integriertem Antrieb zur Verfügung gestellt, der anschließend lediglich mit vom Fahrradhersteller ausgewählten Komponenten ausgestattet und in der gewünschten Farbe lackiert wird. Der Vorteil: Es werden keine eigenen finanziellen Mittel für die Entwicklung des Rahmens benötigt und es können größere Aufträge gestemmt werden, was die Produktionskosten senkt. Eine derartige Lösung wurde beispielsweise auf der Eurobike 2019 vom Zentralgetriebehersteller Pinion in Zusammenarbeit mit dem Motorhersteller Neodrives präsentiert.

„Wir bieten ein fertiges Rahmen-Kit an, bei dem unsere C‑Linie in Kombination mit einem Heckmotor integriert ist. Die Fahrradhersteller brauchen keine eigenständige Rahmenentwicklung mehr, sondern greifen auf unser bestehendes System zurück“, erklärt Andrea Escher, Pressesprecherin von Pinion. Speziell kleine Hersteller sollen die Möglichkeit nutzen, so eine E‑Bike-Alternative anbieten zu können. Aber auch große zeigen laut Escher bereits an der Lösung Interesse, die ab nächster Saison serienreif sein wird. Erhältlich ist das Rahmenset als Trapez- und Diamantrahmen, es können auch unterschiedliche Schaltungen mit sechs, neun oder zwölf Gängen verbaut werden.

Einheitlicher Rahmen spart Kosten


Für den Hersteller aus Denkendorf ist es ein wichtiges Anliegen, dem Radfahrer eine zuverlässige Alternative zum Mittelmotor zu bieten. Die häufigste E‑Bike-Lösung steht für einen erhöhten Verschleiß an den Schaltungskomponenten, weil die Kraft des Motors voll auf Kette bzw. Riemen wirkt. Die Kombination aus Zentralgetriebe und Heckmotor hat hingegen den Vorteil, dass zuerst geschaltet und dann unterstützt wird. Das schone die Antriebskomponenten. Zudem sind Motor und Schaltung gekapselt und dadurch besonders wartungsarm, was gerade zur Winterzeit ein immenser Vorteil ist. „Das Zentralgetriebe passt deshalb hervorragend zum alltäglichen Einsatz bei City-E-Bikes oder für Touren mit einem Trekking-E-Bike“, unterstreicht Escher. Die Rahmen werden dabei in kleineren Mengen sogar in Deutschland produziert, erst größere Aufträge nach Asien ausgelagert. Das spare Lieferzeit und ‑kosten. Die Preisgestaltung übernimmt schlussendlich aber der Radhersteller. „Das haben wir nicht in der Hand“, so Escher. Auch um die rechtlichen Themen, speziell bei der Zulassung von S‑Pedelecs, muss sich der Radhersteller selbst kümmern.

Partner-Feedback fließt mit ein

Dass derartige Plattformen aktuell am Markt gefragt sind, bestätigt Dennis Schömburg, Geschäftsführer beim Markenimporteur Messingschlager. In Zusammenarbeit mit dem Berliner Antriebsspezialisten Brose hat man sich beim oberfränkischen Unternehmen vor zwei Jahren entschieden, eine E‑Bike-Plattform anzubieten. „Damals wurde wirklich jedem bewusst, dass das E‑Bike gekommen ist, um zu bleiben. Da mussten auch die kleinen Hersteller reagieren, um nicht abgehängt zu werden. Wir haben mit dem System einen wunden Punkt im Markt getroffen. Auch weil wir die möglichen Lieferengpässe abfedern“, so Schömburg. Partner sind Radhersteller aus ganz Europa, die jährlich zwischen 2.000 und 50.000 Räder produzieren. Der Entwicklungsvorsprung des deutschen E‑Bike-Marktes kann so auch anderen europäischen Märkten zugutekommen. Allerdings sind auch die Wünsche an die Räder in den Märkten unterschiedlich.

„Wir hören genau auf die Feedbacks unserer Partner und richten die Entwicklung darauf aufbauend aus“, erklärt Schömburg. Bei Messingschlager sind mittlerweile bis zu vier Mitarbeiter rein für die Arbeit am E‑Bike-Projekt beschäftigt. Zudem übernimmt der Markenvertreiber rechtliche Hürden wie die kostspieligen Bestimmungen zur Maschinenrichtlinie oder die CE-Konformität. „Der Kunde bekommt ein Rundum-Sorglos-Paket, kann aber durch die unterschiedlichen Spezifikationen der Räder ein individuelles Produkt kreieren. Es fällt kaum auf, dass es sich um eine identische Rahmenplattform handelt“, fasst Schömburg zusammen.

Nicht für jeden Hersteller interessant

Die Plattformlösungen erleichtern zwar den Entwicklungsaufwand, kommen jedoch nicht für jeden Fahrradhersteller auch in Frage. Der Spezialradhersteller HP Velotechnik beispielsweise passt bereits wegen der Bauform seiner Liegeräder nicht zu den momentan angebotenen Plattformlösungen. „Für uns steht der individuelle Aufbau im Mittelpunkt. Unsere Trikes und zweirädrigen Liegeräder basieren ausschließlich auf eigenen Entwicklungen“, erklärt Pressesprecher Alexander Kraft. Das sorgt allerdings für andere Probleme: Anfang des Jahres gab der langjährige Antriebspartner Go Swiss Drive bekannt, dass er sich aus dem E‑Bike-Markt zurückzieht. Die Folge war eine intensive Suche nach einem neuen Partner.

„Ein Hinterradnabenmotor bei einem Trike hat andere Anforderungen als bei einem Aufrechtrad. Außerdem haben wir technischen Feinheiten wie einen Rückwärtsgang integriert. Am Markt adäquaten Ersatz zu finden war schwierig“, beschreibt Kraft. Mit Neodrives wurde nun ein neuer Partner zur Eurobike 2019 vorgestellt, mit dem man zusammen das Thema Nabenmotor weiter voranbringen möchte. Spezialentwicklungen wie der Rückwärtsgang sind beispielsweise nur mit einem Nabenmotor aktuell möglich.

Rahmenplattformen kommen auch für Stefan Stiener nicht in Frage. Er führt die kleine Fahrradschmiede Velotraum und ist auf den Bau individueller Bikes für Reiseradler und Langstreckenpendler spezialisiert. Speziell die ergonomische Anpassung steht bei Stiener im Mittelpunkt, weil seine Kunden eigene Bedürfnisse haben und oft über viele hundert Kilometer im Sattel sind. Für den gelernten Architekten ist die persönliche Rahmenentwicklung ein wichtiger Faktor seiner Unternehmensphilosophie.

Die Plattformangebote sieht er deshalb kritisch: „Wir haben seit 30 Jahren Erfahrung im Design von Rahmengeometrien, während neue Partner hier quasi in völlig neues Terrain vorstoßen.“ Als kleiner Hersteller sei es zudem wichtig, sich genau zu fokussieren und auch an seine Zielgruppe zu denken. „Die Wirklichkeit unserer Kunden unterscheidet sich doch sehr stark von der Wirklichkeit der Radbranche. Wenn man weiß, was ein bestimmter Kundenkreis wirklich sucht und braucht, kann man auch als Kleiner im E‑Bike-Segment bestehen“, so Stiener. Er bietet beispielsweise die Kombination von Pinion und Neodrives seit längerem mit eigenen Rahmen an und wird aktuell nicht auf das neue Plattformangebot eingehen.

Plattformen werden weiter ausgebaut

Diese Argumente sind für Schömburg nichts Neues. Der Geschäftsführer weiß, dass die Fahrer von Velotraum oder HP Velotechnik für eine Rahmenplattform nicht interessant sind: „Es geht für uns um den Großteil an E‑Bikern im City- bzw. Trekking-Bereich, die auf der Suche nach einem soliden E‑Bike sind.“ Aus seiner Sicht mache das rund 75 Prozent der E‑Bike-Fahrer aus. Diese Kunden hätte bereits gewisse Vorstellungen und Ansprüche für ihr Elektrorad. Die Aufgabe besteht nun darin, passende Lösungen zu bieten, damit sie langfristig glücklich werden. Deshalb baut Messingschlager das Konzept 2020 weiter aus. Es wird z. B. die neue Magnesiumserie von Brose verbaut, um zusätzlich die sportive Zielgruppe mit einem vollgefederten E‑MTB anzusprechen. Darüber hinaus gibt es eine Kooperation mit dem Hinterradnabenhersteller Bafang. Das soll den Bau von günstigeren, aber auch leichteren E‑Bikes ermöglichen, die gerade für den osteuropäischen Markt oder für preisbewusste Verbraucher in Deutschland interessant werden. Auch ein E‑Gravel-Rahmen und ein E‑Tiefeinsteiger sollen folgen. „Das Bauen von E‑Bikes ist ein komplexes System. Wir haben den Vorteil, dass wir auf ein kompetentes Netzwerk von internationalen Partnern zurückgreifen und so einen langfristigen Ansatz verfolgen können“, erläutert Schömburg die Strategie.

Premium oder Masse?

Doch soweit, dass es nur noch Plattformen gibt, ist die Branche selbstverständlich noch lange nicht. Es gibt auch E‑Bike-Hersteller, die durch ihre Rahmen ein Alleinstellungsmerkmal auf dem Markt kreieren möchten. Ein Beispiel ist Riese & Müller. Das Unternehmen aus Mühltal bei Darmstadt setzt ausschließlich auf die Mittelmotoren von Bosch und auf ein hohes Maß an eigener Innovationskraft, nicht nur beim Rahmendesign. Dazu zählen u. a. eine ausgeklügelte Vollfederung und neuerdings eine eigene Connect-Möglichkeit. Solche Entwicklungen werden zum Aushängeschild eines Herstellers und unterstreichen den Anspruch, sich mehr mit Eigenentwicklungen zu beschäftigen. Der Markt ist bei der Fertigungstiefe also stark in Bewegung. Die Folge werden E‑Bikes mit diversen Ausstattungsvarianten bei unterschiedlichen Preispunkten sein – davon wird in erster Linie der E‑Bike-Fahrer profitieren, der aus einem wachsenden Angebot das passende Elektrorad für sein Budget wählen kann.

Foto: www.brose-ebike.com | pd-f

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