Sicher ist sicher, auch wenn das längst nicht sicher ist

.... meint Harald Kaiser, Auto-Medienportal.Net

Man muss sich mindestens einmal schütteln, um die Dinge zu verstehen. Vor einiger Zeit hat Volvo verkündet, dass alle Neuwagen ein serienmäßiges Tempolimit von 180 km/h verpasst bekommen.

Klingt in den Ohren so mancher Weltretter super. Endlich tut ein Autokonzern etwas. Endlich nimmt wenigstens eine Firma aus der Brumm-Brumm-Wirtschaft die Verantwortung ernst. Die Botschaft im Subtext: Die Schweden machen sich Sorgen um die Verkehrssicherheit und ihnen geht es ausschließlich um das Wohlbefinden ihrer Kunden – und womöglich auch um jenes eventueller Unfallgegner.

Also alles prima? Keineswegs. Denn die Mechanik, die dabei wieder einmal gegriffen hat oder dabei ist zu greifen, ist durchsichtig. Offenbar hat man bei Volvo festgestellt (was nie zugegeben würde), dass die Aktion Tempolimit medial nicht so recht durchgeschlagen hat – trotz einer Berichterstattung dazu. Aber der Inhalt ist schnell wieder aus der Öffentlichkeit verschwunden.

Was tun dagegen? Anzeigen schalten und Werbung im Fernsehen machen? Nix da, zu teuer. Das geht viel billiger. Einfach Journalisten einladen und sie mit den Tempolimit-Autos fahren lassen. Aber natürlich nicht so einfach, sondern mit „wissenschaftlicher“ Begleitung. Also die Herzfrequenz messen, den Spritverbrauch auf das letzte Fingerhütchen auslitern und auch den Zeitgewinn im Auge behalten, den man durch freies Fahren vielleicht hätte.

Wer sich zurücklehnt, ausnahmsweise mal die Birne einschaltet (was längst nicht jeder tut) und sich fragt, was der Zinnober soll, der wird zu der Erkenntnis kommen, dass die Aktion nicht nur großer Kappes ist, wie mundartlich im Rheinland Unsinn bezeichnet wird. Denn das Ergebnis, dass man mit geringerem Tempo entspannter fährt, weniger Sprit verbraucht und der Zeitverlust minimal ist, hat man natürlich vorher gewusst. Das ist nämlich Alltag und eine ganz einfache menschliche Erkenntnis. Der Haken ist, dass sich die nicht vermarkten lässt. Zu langweilig. Also muss eine Aktion mit Reibungsfläche daraus gemacht werden, damit es einen Anlass für Berichterstattung gibt.

Und spätestens jetzt greift eine zweite Erkenntnis: Die triviale Wahrheit des Daseins darf nicht interessieren, man muss vielmehr versuchen, sich einen Vorteil am Markt zu verschaffen. Da passt das Gedicht „Die unmögliche Tatsache“ von Christian Morgenstern, in dem es unter anderem heißt: „Und er kommt zu dem Ergebnis: nur ein Traum war das Erlebnis. Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“

Also müssen die Abteilungen Marketing und Öffentlichkeitsarbeit ran, die dazu verdonnert werden, sich Aktionen auszudenken, die einerseits glaubwürdig sind und die andererseits das Unternehmen in die positiven Schlagzeilen bringt. Hat man etwas herausgefieselt, mit dem man von sich reden machen kann, sollte es gerade für einen Autobauer auch noch in die politische Landschaft passen. Denn Autobauer, der Eindruck kommt auf, sind derzeit ja medial in Verschiss geraten, weil sie Produkte herstellen und verkaufen, die aus der Sicht so mancher Weltretter Teufelszeug sind. Also muss etwas Positives gefunden werden, mit dessen Hilfe man wenigstens so tun kann, als denke man an die Allgemeinheit und nicht nur an den Umsatz. Idealerweise natürlich beides.

Da passt die immer wieder aufflammende Diskussion ums Tempolimit in Deutschland prima. Die ist vor allem emotional. Sachkenntnis? Nicht nötig. Hauptsache mitreden! Und so tun, als ob einem das Wohl der Allgemeinheit am Herzen läge. Wie waren noch die letzten Umsatzzahlen? Nicht so gut? Mist! Wir müssen etwas tun! Gibt es irgendeine politische Großwetterlage, an die wir uns anhängen können? Die Tempolimit-Diskussion? Klasse, daraus machen wir etwas.

Es ist also unterm Strich pures Marketing, nichts weiter. Und viele fallen darauf rein. Wichtig ist die Aktion und vor allem der Begriff „abgesichert“, den Volvo dazu für die eingebremsten Autos eigens gezimmert hat. Klingt gut und glaubwürdig. Schwingt ja der Begriff Sicherheit mit. Der erzeugt ein gutes Bauchgefühl.

Dass die Wahrheit auf deutschen Straßen ganz anders aussieht, wird noch nicht einmal ignoriert. Die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2019 sagen dies: Die meisten Unfälle mit Personenschäden ereignen sich innerhalb geschlossener Ortschaften (69,2 Prozent) bei Tempo 50 oder 60. Davon sind 30,6 Prozent leider tödlich ausgegangen. Die mit Abstand meisten Verkehrstoten waren jedoch mit 57,7 Prozent auf den Landstraßen (Tempolimit 80/100) zu beklagen. Und auf den Autobahnen wurden 11,7 Prozent aller Getöteten gezählt.

Unterm Strich ist es also so, dass fast 90 Prozent (genau: 88,3 Prozent) aller tödlichen Unfälle auf einer tempolimitierten Straße passiert sind. Und zwar weit unter 180. Volvo beschreibt die Lage auf unseren Straßen in seiner jüngsten Pressemitteilung zu der Limit-Aktion so: „… noch immer (kommt) alle neun Stunden ein Mensch auf deutschen Straßen bei einem sogenannten ‚Geschwindigkeitsunfall‘ ums Leben. An die jeweilige Fahrsituation nicht angepasste Geschwindigkeit spielt also noch immer eine wichtige Rolle bei den tödlichen Verkehrsunfällen“.

Nicht geschrieben, aber insinuiert wird dabei: Schuld ist die Raserei auf den Autobahnen. Denn sonst würde die Limit-Nummer ja keinen Sinn machen. Womit wir, schwupps, mitten in der moralischen Ecke der Tempolimit-Diskussion und dem Wert des Lebens wären, was selbstverständlich außer Frage steht.

Genau dieser Punkt, dass jedes Menschenleben zu schützen ist und ohne Zweifel das höchste Gut darstellt, ist der perfide Hebel, an dem Volvo jetzt kräftig zieht. Was aber machen die Volvo-Bosse, wenn demnächst aus der noch gültigen und nicht verpflichtenden Richtgeschwindigkeit 130 auf Deutschlands Autobahnen ein Tempolimit wird? Elektronisch von 180 auf 130 km/h drosseln? Man wird dann wohl mit den Schultern zucken und sich einreden: Wir haben wenigstens etwas versucht.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Harald Kaiser

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