Autofahren bedeutet mehr, als ein Fahrzeug nur zu lenken: Die Stressbelastung für Fahrer hat in den vergangenen fünf Jahren weiter zugenommen.
Dies  zumindest ergab eine im Auftrag der Bahn-Tochter Clever Shuttle  durchgeführte Studie. Erstaunliche 93 Prozent der Befragten klagten über  die Belastung am Steuer.
Doch welche Belastungsfaktoren wirken  am Steuer auf den Menschen ein, was löst den Stress beim Fahren aus?  „Alles, was beim Fahren objektiv betrachtet von außen auf den Menschen  einwirkt, bedeutet eine Belastung", erklärt Dr. Wolfgang Fastenmeier,  Verkehrspsychologe am Institut Mensch-Verkehr-Umwelt (mvu) in München.  Die Einflussfaktoren sind umfangreich, eine große Rolle spielt in diesem  Zusammenhang die Informationsverarbeitung: Die Person am Steuer müsse  ständig antizipieren, was rundherum passiert und drohende Gefahren  erkennen.
Dabei arbeite das Gehirn auf Hochtouren: „Sämtliche  Gedächtnisprozesse, die dazu führen, rechtzeitig auszuweichen oder  andere Maßnahmen zu ergreifen, laufen". Diese körperliche Fähigkeit sei  eine wichtige Voraussetzung, um die Technik zu bedienen.
Wie  komplex die Aufgabe ist, hängt unter anderem von sogenannten situativen  Faktoren ab. „Allein die Verkehrsumgebung, sprich die bauliche Situation  der Straße, Linienführung, Beschilderung, Signalgebung, Verkehrsablauf  oder auch Bepflanzung vermitteln dem Fahrer umfangreiche Informationen.  Er interpretiert und bewertet diese aufgrund seiner Erfahrungen mit  gleichen oder ähnlichen Situationen", sagt Fastenmeier und ergänzt:  „Unter Berücksichtigung seiner Erwartungen an die Verkehrsabläufe  beziehungsweise das Auftreten bestimmter Verkehrsteilnehmergruppen und  deren Verhalten reagiert er entsprechend".
Eine komplexe  innerstädtische Verkehrsführung mit vielen Kreuzungen, schmalen Straßen,  geparkten Autos sowie Fußgängern und Radfahrern fordere die  Aufmerksamkeit ganz anders als eine Autobahn mit eindeutiger  Richtungsfahrbahn und klaren Abgrenzungen. „Wie anstrengend das eine  oder andere Szenario wahrgenommen wird, hängt davon ab, wann und auf wen  derartige Gegebenheiten einwirken", unterstreicht Fastenmeier. Und er  nennt ein Beispiel für den Einfluss der jeweiligen persönlichen  Befindlichkeit: „Bei einer entspannten Fahrt ins Wochenende ist es  leichter, gelassen zu bleiben, als bei der Fahrt ins Büro, wo ein  anstrengendes Meeting mit dem Chef ansteht".
Je mehr Erfahrung,  desto besser: Ein versierter Autofahrer kann auch schwierige Situationen  ohne übermäßigen Stress meistern. Andererseits können temporäre  Stressfaktoren wie Zeitdruck, nörgelnde Kinder im Fond oder ein Streit  mit dem Partner vor Antritt der Fahrt dazu beitragen, das  Verkehrsgeschehen generell negativ einzuordnen: „Ein langsam  vorausfahrender Wagen steht dann plötzlich der Verwirklichung der  eigenen Ziele im Weg. Der so unter Druck stehende Fahrzeuglenker sieht  sich bei seinen Plänen und Bedürfnisse extrem gegängelt und reagiert mit  Verhaltensmustern, die nicht immer zur Situation passen". Der Mensch  sei in derartigen Situationen darauf programmiert, auf Flucht oder  Angriff zu schalten, so Fastenmeier. Und das hat unmittelbar körperliche  Folgen: Die Atmung wird flacher und schneller, Blut in die Muskulatur  gepumpt, die Durchblutung des Magens reduziert und das Gehirn lässt nur  noch vereinfachte Reizmuster zu.
Ganz abgesehen davon, dass sich  ein Stau durch Drängeln oder Hupen nicht auflöst, setzt eine derartige  Stressreaktion den beim Autofahren grundsätzlich vorhandenen Belastungen  des Körpers weiter zu. Schon allein die einseitige, mehr oder weniger  fixierte Haltung im Sitz – und das durchaus über mehrere Stunden –  fordert ihren Tribut. Dr. James Levine, Leiter des  Obesity-Solutions-Projekts an der Mayo Clinic der Arizona State  University hat es so formuliert: „Sitzen ist gefährlicher als Rauchen,  tötet mehr Menschen als HIV und ist tückischer als Fallschirmspringen".
Mittlerweile  haben zahlreiche Forscher in Untersuchungen belegt, dass bereits zwei  Stunden ununterbrochenes Sitzen die Risiken für Herzerkrankungen,  Diabetes, Krebsleiden, Rücken- und Nackenbeschwerden und andere  orthopädische Probleme signifikant erhöhen. Der Vergleich mit dem  Rauchen ergibt sich aus Studien in Australien: Danach verkürzt bei einem  25jährigen jede Stunde vor dem Fernseher die Lebenserwartung um 21,8  Minuten. Der Konsum einer Zigarette schlägt indessen nur mit elf Minuten  zu Buche.
Was also tun, um derartige Anstrengungen zu vermeiden?  Einerseits ist eine körpergerechte und individuell eingerichtete  Position im Auto extrem wichtig – und die lässt sich am besten auf  möglichst vielfältig einstellbaren Sitzen erreichen. Die körperlichen  Belastungen werden so deutlich verringert.
Dass elektronische  Helfer wie beispielsweise ein Müdigkeitsassistent ebenso dazu beitragen,  den Stress zu verringern, davon ist Experte Fastenmeier unterdessen  nicht überzeugt. Eine rein lineare Beurteilung über die mangelnde  Lenkradbewegung oder eine erhöhte – unbewusste – Aktivität auf dem Sitz  sagten noch nichts über eine vermeintlich zu hohe Belastung aus. Wenn  der Pilot in guter Verfassung ist, dann fällt das Maß an Beanspruchung  deutlich geringer aus.
Es wird übrigens auch diskutiert, ob die  Mimik des Fahrers als Parameter für einen Eingriff der Technik geeignet  ist. Dazu wurde gerade das dreijährige Forschungsprojekt INEMAS  („Grundlagen interaktions- und emotionssensitiver Assistenzsysteme") an  der Universität Siegen zur Fragestellung ausgewertet, ob zukünftige  Assistenzsysteme menschliche Emotionen und Interaktionen messen können  oder messen sollen?
„Mittels 400 Stunden Videomaterial von  Live-Fahrten oder im Fahrsimulator haben wir beobachtet, welche  Emotionen auf einen Autofahrer einwirken", erläutert Henrik Freude,  Forschungsbereichsleiter für Digitale Gesundheitsversorgung am Lehrstuhl  für Wirtschaftsinformatik: „Entgegen der Annahme ist der  Gesichtsausdruck von Menschen am Steuer weniger emotional als  angenommen. Auch bei Angst oder Freude bleibt es bei einem eher  neutralen und konzentrierten Gesichtsausdruck".
Kommt es hingegen  zu Gesprächen mit dem Beifahrer, dann erkennt es die Kameratechnik  durchaus, wenn dadurch die Aufmerksamkeit des Fahrers nachlässt. „Ein  Vibrieren am Lenkrad oder ein Lichtsignal kann dann als  interaktionssensitives Assistenzsystem durchaus dazu beitragen, den  Fahrer wieder konzentrierter werden zu lassen", so Freude.
Was  kann das Auto sonst noch tun, um den Stress zu verringern? Eine aktuelle  Untersuchung der São Paulo State University (UNESP) in Brasilien hat  ermittelt, dass sich der Stress beim Autofahren mit passender Musik  verringern lässt. Doch Fastenmeier plädiert für einen anderen Weg: „Der  Verkehrsraum an sich bietet das größte Potential, Überforderungen der  Verkehrsteilnehmer zu vermeiden".
Im Idealfall fordere schon die  Art und Weise, wie eine Straße gestaltet ist, den Fahrer zu bestimmten  Verhaltensweisen auf: Während beispielsweise eine Tempo-30-Zone auf  einer breiten Straße eher Unverständnis hervorruft, führen  Verkehrsberuhigungs-Maßnahmen auf der gleichen Strecke von Anfang an für  eine entsprechende Erwartung – und damit zu deutlich weniger Stress auf  der Fahrt von A nach B.
Foto: Auto-Medienportal.Net/Lease Plan