Es reicht nicht, die Menschen zum Spekulieren an der Börse zu bewegen

finCraft-CEO und Gründer Dr. Stefan Steib im Interview über Neo-Broker, Robo-Advisors und fehlendes Vertrauen in Finanzberater

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Die Deutschen sind Meister im Sparen – ihr Geldvermögen addiert sich laut Deutscher Bundesbank auf 6,63 Billionen Euro. Und auch wenn der Anteil von Börsen-Investements weiterhin recht gering ist, so ist der Zuwachs seit dem vergangenen Jahr doch spürbar, vor allem dank vieler Neuanlegerinnen und -anleger.

Unter anderem dank innovativer Neo-Broker auf dem Smartphone haben 2020 über 2,7 Mio. Deutsche erstmals den Schritt an die Börse gewagt. Das Startup finCraft hat es sich zum Ziel gemacht, die Neulinge zu unterstützen und auf ihrem Weg zu begleiten. Das Ziel des Fintech aus Bad Homburg: Digitale Selbstentscheider zu Anlagestrategen machen, die ihre finanzielle Zukunft unabhängig und kompetent managen können.

Warum das notwendig ist und weshalb die Strukturen der bisherigen Finanzwelt dies nicht leisten können, erläutert CEO und Gründer Dr. Stefan Steib in einem Interview.
 
Herr Dr. Stefan Steib, nach 20 Jahren Führungserfahrung im Research bei namhaften Investment- Häusern steigen Sie aus und gründen ein Startup. Was war der Antrieb?
Dr. Stefan Steib:
Es ist weniger ein Ausstieg aus der Investment-Branche und vielmehr ein Einstieg in die Fintech-Welt. Hier kann ich mit Hilfe neuer Technologien und Konzepte alte Strukturen aufbrechen und neue Wege gehen. Das ist im Bereich der Investmentberatung und -analyse längst überfällig. Also habe ich nach Partnern gesucht, die heiß darauf sind, ihr Know-how in ein Startup einzubringen.

Was stimmt nicht mit den alten Strukturen?
Dr. Stefan Steib:
Es gehen zwar endlich mehr Menschen den Schritt an die Börse, aber Neuanlegerinnen und -anleger verfügen nicht über das notwendige Know-how. Den vielen Beraterinnen und Beratern sowie den selbsternannten Expertinnen und Experten will auch niemand mehr so recht trauen. Die digitalen Selbstentscheider wollen ihre finanzielle Zukunft lieber selbst in die Hand nehmen. Für kompetente Investmententscheidungen und individuelle Anlagestrategien fehlen aber geeignete Lösungen.

Also geht es Ihnen nicht allein darum, Neuanleger an die Börse zu bringen?
Dr. Stefan Steib:
Es reicht nicht, die Menschen einfach nur zum Spekulieren an der Börse zu bewegen – wir wollen, dass sie dort auch erfolgreich sind! Börsenneulinge agieren häufig zu intuitiv, ohne nötiges Wissen und vor allem ohne konkreten Plan. Dafür zahlen viele teures Lehrgeld. Im schlimmsten Fall verlieren wir dadurch die nächste Generation Börseninvestoren. Deshalb wollen wir die Neuanlegerinnen und - anleger auf ihrem Weg begleiten und unterstützen. Neo- und Smartphone-Broker haben die Demokratisierung des Börsenhandels ermöglicht. Jetzt muss die Demokratisierung der Investmentberatung und -analyse folgen – das Neo-Advice.

Was ist denn aktuell das Problem im Bereich Finanzberatung?
Dr. Stefan Steib:
Die klassische Finanzberatung für Privatkunden, etwa bei den Sparkassen und Banken, ist massiv geschrumpft, weil sich das Geschäft kaum noch lohnt. Zudem fehlt es am Vertrauen, weil die Beraterinnen und Berater meist nur Produkte empfehlen, an denen sie durch Provision mitverdienen. Auch der Gang in die Filiale ist für viele nicht mehr zeitgemäß, es werden digitale Lösungen erwartet.

Aber eine Suchanfrage bei Google liefert da doch schon zahlreiche Ergebnisse, inklusive modernster Robo-Advisors.
Dr. Stefan Steib:
Im Internet gibt es zwar zahlreiche Börsen- und Finanzportale, aber die sind häufig überladen und für Einsteiger ungeeignet. Die heißen Tipps und Produktempfehlungen kommen von sogenannten Experten, deren Objektivität zumindest in Frage gestellt werden muss. Es gibt dort auch keine strukturierte Anleitung, um in Eigenregie eine individuelle Anlagestrategie zu entwickeln. Und die mittlerweile etablierten Robo-Advisors erleichtern Anlegerinnen und Anlegern den Zugang zur Börse – aber finanzielle Entscheidungen werden damit einer Blackbox überlassen, einem Algorithmus, der für die meisten nicht nachzuvollziehen ist. Der Name Advisor, also Berater, ist hier in meinen Augen etwas irreführend. Es gibt also ein großes Advice Gap, eine Beratungslücke, die wir mit finCraft füllen.

Wie wollen Sie mit Ihrem Startup finCraft dieses Advice Gap schließen?
Dr. Stefan Steib:
Das Stichwort ist „financial empowerment“. Wir richten uns an die digitalen Selbstentscheider, die ihre finanzielle Zukunft selbst in die Hand nehmen möchten, anstatt einfach kurzlebigen Trends, heißen Tipps, Robotern oder Börsen-Gurus zu folgen. Dafür brauchen sie das nötige Wissen, strukturierte Investmentprozesse und die richtigen Analyse-Tools. Vor allem aber brauchen sie eine Strategie, die auf individuelle Bedürfnisse und Ziele ausgerichtet ist. Diese hilft, die eigenen Emotionen unter Kontrolle zu halten und rational zu agieren. Bei finCraft kann man selbständig eine individuelle Anlagestrategie entwickeln, diese operationalisieren und im Verlauf stetig optimieren.

Welche neuen Methoden kommen dabei zum Einsatz?
Dr. Stefan Steib:
Wir müssen die Kapitalanlage und das Wissen darüber nicht neu erfinden, sondern nur aufbereiten und allen verfügbar machen. Der Bestand an Analyseinstrumenten und Strategieansätzen ist umfangreich und auch wissenschaftlich dokumentiert. Er ist bislang aber vor allem den Profis in den großen Bank-, Broker- und Wertpapierhäusern vorbehalten. Wir ändern das!

Das klingt auch ein bisschen danach, als ob die Anlegerinnen und Anleger die Schulbank drücken müssen …
Dr. Stefan Steib:
An der Börse zu investieren ist keine Rocketscience. Aber ohne ein angemessenes Basiswissen geht es einfach nicht. Wer einfach auf gut Glück loszockt, wird das schnell bereuen. Es braucht realistische Erwartungen, Geduld, Disziplin und das nötige Know-how. Aber dafür bedarf es weniger Anstrengungen als viele meinen. Und wie in der Schule ist es in der finCraft-Welt dann doch nicht. Wir ermöglichen Userinnen und Usern ein selbstgesteuertes Learning by Doing. Am Anfang steht das Experimentieren und Erfahrungen sammeln, ohne ungewollte Risiken einzugehen. Unsere Anwendung unterstützt mit intelligenten Hilfestellungen und ansprechendem Design. Das macht so einfach Spaß, und der Spaßfaktor ist auch an der Börse ein wichtiger Erfolgsfaktor.

finCraft bietet also Lösungen für Börsenneulinge. Aber wie sieht es mit Anlegerinnen und Anlegern aus, die bereits Erfahrung mitbringen?
Dr. Stefan Steib:
Für Börsenneulinge ist der Einstieg in die finCraft-Welt nur der Start-, nicht der Endpunkt der Reise. Unsere Userinnen und User werden Erfahrungen sammeln und sich weiterentwickeln. Tempo und Niveau werden von den individuellen Ambitionen gesteuert. Semiprofessionelle Anlegerinnen und Anleger haben naturgemäß deutlich höhere Bedürfnisse und Anforderungen. Deshalb bietet finCraft auch professionelle, innovative Analyseinstrumente für anspruchsvolle Börsenakteure. Den Umgang damit kann bei uns jeder lernen.

Das Thema „Interessenkonflikte“ klang bereits mehrfach an. Wie gehen Sie bei finCraft damit um?
Dr. Stefan Steib:
Wir verdienen ausschließlich an den Einnahmen aus einem klassischen, nach Laufzeiten gestaffelten Abomodell. Unser unternehmerischer Erfolg steht und fällt also damit, ob wir unsere Userinnen und User zufriedenstellen und ihnen einen Mehrwert bieten können, für den diese auch zu bezahlen bereit sind. Damit ist unser Ansatz frei von Interessenkonflikten, weil das finCraft-Geschäftsmodell nicht darauf ausgerichtet ist, Trading-Aktivitäten zu maximieren oder ausgewählte Investment-Produkte zu platzieren.

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