Warum denn in die Ferne schweifen?

... fragt sich Michael Kirchberger, Auto-Medienportal.Net hinter dem Lenkrad des Opel Zafira-e Life

Der Zafira hat bei Opel eine wechselvolle Geschichte erlebt. Aus dem Kompaktvan ist nach der Eingliederung in den PSA- und nun Stellantis-Konzern ein Utility à la VW Multivan geworden, der in drei Längen erhältlich ist.

Als Zafira M rangiert er in der Fünf-Meter-Klasse – und tut das nun auch mit rein elektrischem Antrieb. Das Akku-Motor-Ensemble ist kein Unbekanntes. In ähnlicher Form lässt es auch den Opel Corsa-e und den Peugeot e-208 durch die Straßen schnurren, gemeinsam ist allen die Standardleistung von 100 kW. Der Kunde hat die Wahl zwischen zwei verschiedenen Akkus: Die 50 kWh starke Batterie genügt für genormte 230 Kilometer Fahrstrecke, die 75-kWh-Version soll fast 330 Kilometer Reichweite ermöglichen.

Nach dem Druck auf die Starttaste fiept und summt der elektrische Zafira wie R2D2, beim Beschleunigen klingt er fast wie eine Straßenbahn, nur ein wenig leiser. Sein Beschleunigungsvermögen beeindruckt, in 13,3 Sekunden erreicht er die 100-km/h-Marke aus dem Stand, subjektiv wird das als schneller empfunden. Was am satten Drehmoment liegt, das fast aus dem Stand heraus in Höhe von 260 Newtonmetern anliegt und lange konstant bleibt. Kreuzungen werden flink passiert, Überholen auf Landstraßen stellt ebenfalls kein Problem dar, die hohe Sitzposition verbessert den Ausblick auf die Straße und der Motor legt sich ordentlich ins Zeug. Auf der Autobahn ist Schluss mit dem Vorwärtsdrang sobald 130 km/h erreicht sind. Dann begrenzt die Elektronik das Tempo, die erhebliche Stirnfläche würde bei noch schnellerer Fahrt den Verbrauch unbotmäßig in die Höhe treiben.

Systemimmanent ist das Konsumverhalten des Elektro-Vans. Er gibt sich genügsam, wenn es durch die Stadt geht, obwohl nach jedem Stopp gut zwei Tonnen Leergewicht aufs Neue beschleunigt werden müssen. Immerhin versorgt die Rekuperation beim Bremsen den Akku mit zurückgewonnener Energie, wen beim Erklimmen rheinhessischer Hügelketten Sorge befällt, der Energievorrat wäre allzu schnell aufgebraucht, gewinnt bei der anschließenden Bergabfahrt das Vertrauen in die Reichweite zurück. Auf manchen Strecken konnten wir Strom für bis zu zehn Kilometer zurück in den Akku schaufeln.

Gleichwohl ist die Werksangabe überaus optimistisch. Die in Aussicht gestellten 330 Kilometer haben wir trotz Zurückhaltung nicht geschafft. Etwas mehr als 260 Kilometer weit brachte uns der Zafira-e mit einer Akkuladung – Heizung, Audioanlage und Beleuchtung werden bei der normierten Verbrauchsermittlung eben nicht berücksichtigt. Unterdessen haben wir uns bei der Annäherung an ein neues Fahrmuster erwischt. Für E-Auto-Fahrer gilt: die kürzeste Strecke ist die beste. Also lieber durch die Ortschaft als auf der Umgehung drum herum. Denn bei Tempo 50 ist der Verbrauch niedrig, die Reichweite wird nicht zu arg strapaziert. Immerhin nimmt der Opel-Van die teils unebenen Fahrbahnen im Hinterland mit Gelassenheit. Die Federung gibt sich komfortabel, das Fahrverhalten ist dank des weit unten eingebauten Akkus und dem deshalb tiefliegenden Schwerpunkt überaus angenehm, die Karosserieneigungen sind nicht der Rede wert.

Beim Aufladen der Batterie erweist sich der E-Zafira ebenfalls als flink. An einer Wallbox mit 11 kW vergehen zwar üppige sieben Stunden bis zur vollen Ladung, an den starken Gleichstromsäulen mit 100 kW reichen dagegen 48 Minuten, bis ein Füllstand von 80 Prozent erreicht ist. Ohnehin steht nicht der komplette Energievorrat zur Nutzung bereit, von den theoretischen 75 kWh lassen sich nur etwa 69 für den Vortrieb einsetzen.

Der Bedienungskomfort des E-Vans ist überaus gut, elektronische Helfer unterstützen und sorgen für Sicherheit. Wie unter anderem das Head-up-Display und der Notbremsassistent. Hinten gelangen die Passagiere dank der beidseitig elektrisch öffnenden Schiebetüren mühelos auf die sechs Fond-Sitzplätze, Fahrer und Beifahrer müssen sich jedoch mit der breiten Trittstufe arrangieren, die eine Entscheidung zwischen dem großen Schritt bis hinters Lenkrad oder den beiden kleineren mit kurzer Verweildauer auf halben Weg fordert. Möglich ist beides. Der Chauffeur nimmt eine entspannte Sitzposition ein, das Knie reibt sich jedoch an der Mittelkonsole, wo der Fahrregler des Antriebs statt des üblichen Schalthebels seinen Platz hat. Die Unterarme liegen bequem auf der breiten Türverkleidung und eine klappbaren Lehne auf der anderen Seite des elektrisch verstellbaren Sitzes auf. Ablagen gibt es reichlich und ein gleich doppeltes Handschuhfach. Die Instrumentierung ist angemessen, die wesentlichen Daten werden dargestellt.

Am Raumangebot gibt es bis auf die Sache mit dem Knie nichts zu kritisieren, alle finden einen bequemen Platz mit reichlich Freiheit für die Beine und Ellenbogen. Ganz groß wird der Opel aber dann, wenn es um den Gütertransport geht. Selbst wenn alle Sitze an Bord sind, finden hinter der dritten Reihe Getränkekästen, Koffer und Taschen eine großzügige Bleibe. Wer die Sitze klappt oder gar ausbaut (was sich ob ihres Gewichts nicht gerade im Handumdrehen erledigen lässt) macht den Zafira zum Raumwunder mit 4200 Liter Transportvolumen. Die erlaubte Zuladung gestattet auch die Beförderung von schwerem Gepäck, sogar einen Anhänger darf der Elektriker ziehen, bis zu 1000 Kilogramm darf der wiegen. 57.350 Euro kostet das Grundmodell, für den stärkeren Akku werden 6000 Euro mehr fällig.

Wem ist der Zafira-e ein angemessener Weggefährte? Für die Urlaubsreise der Großfamilie wird er nicht die erste Wahl sein, zu oft müsste die Fahrt zum Energietanken unterbrochen werden, Italien rückte dabei in weite Ferne. Ob er zum Freund der kitabeschickenden Mütter wird, ist ob des hohen Preises trotz des Umwelt-Bonus ebenfalls nicht zu erwarten. Als einsatzfreudig dürfte er sich dagegen im Hotel- und Taxi-Gewerbe erweisen, wenn während der Stand- und Wartezeiten sehr entspannt nachgeladen werden kann und die Fahrt gewiss auch bei den Gästen aus Gründen des Komforts und vielleicht auch des grünen Gewissen zumindest bis auf Weiteres ein Erlebnis wird.

Foto: Auto-Medienportal.Net/Michael Kirchberger

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