Morgengruß von Helmut Harff: Mein Freund, der Nachbar

… oder doch der, mit dem ich so gerne streite



Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt. Von wem das ist? Da sind die Bildungsbürger oder die mit einem gesunden Halbwissen gefragt. Soviel: Es stammt nicht von einem mit Nachbarschaftsstreits befassten Anwalt.


Ja, selbstverständlich ist das von Friedrich Schiller aus Wilhelm Tell. Doch das nur am Rande.

Ohne Nachbarschaftsstreits gäbe es wohl deutlich weniger Krimis, auf Papier und im Fernsehen. Selbst in Schlagern wurde der schon besungen. Man denke nur an „Maschendrahtzaun“ von Stefan Raab. Nachbarschaftsstreite sorgen dafür, dass viele Anwälte nicht als Aufstocker im Jobcenter sitzen und auch dafür, dass Gerichte heillos überlastet sind.

Doch stimmt das? Streiten sich wirklich so viele Nachbarn so, dass die Dinge vor sogenannten Schiedsleuten oder gar vor Gericht landen? Zahlen dazu zu finden ist gar nicht so einfach. Ich las, dass 2013 bundesweit etwa 5.000 von den Kommunen angeheuerten Schiedsleute 12.000 mal aktiv wurden. Sie versuchten die Streitigkeiten zwischen Nachbarn zu schlichten und so die Gerichte zu entlasten. Das gelang längst nicht immer, sodass vor neun Jahren 8.100 Nachbarschaftskonflikte vor deutschen Amtsgerichten landeten. Deutlich weniger schwere Fälle landeten sogar vor den Strafkammern.

Doch mal ehrlich, das waren etwas mehr als 20.000 eskalierte Streitfälle. Angesichts von 41 Millionen Haushalten – so viele gab es 2020 – ist das eine verschwindet geringe Zahl. Das zeigt doch, dass die meisten Nachbarn mehr oder weniger friedlich miteinander umgehen. Das ist um so erstaunlicher, als man sich ja seine Nachbarn nun mal nicht aussuchen kann. Ja, ich kann vielleicht noch bei meiner Wohnungssuche darauf achten, wer da so wohnt. Doch das kann sich schnell ändern – und dann muss man mit den neuen Nachbarn auskommen. Wie, das hängt nun mal von beiden ab.

Nun bin ich kein Mensch, der alle lieben muss, die zufällig im gleichen Haus leben. Doch gut auskommen, ein freundliches Hallo, mal die Post abnehmen und mal auch generös über kleine Störungen hinweg sehen und über größere reden, das halte ich für den normalen Umgang miteinander.

Doch was, wenn  der, wenn die Nachbarn nicht mehr da sind, wenn sie umgezogen sind oder auf dem Friedhof gelandet sind? Soll man dann frohlocken, dass der ungeliebte Nachbar weg ist? Ich glaube nein. Ich weiß aus eigenem Erleben, dass einem recht schnell der Nachbar fehlt. Kein Hund mehr, den man kraulen kann, kein gemeinsames Aufregen über den Vermieter, niemand, der die Post abnimmt oder mal den Handwerker rein lässt. Man ist allein.

Nur gut, dass ich an meiner Seite die Beste Frau der Welt habe, die gerade den Frühstückstisch gedeckt hat.

Ich wünsche Ihnen ebenfalls ein genussvolles Frühstück und ein genussvolles 2022.

Gratulation allen, die heute Namenstag haben:  Genoveva, Odilo, Irma

Foto: Pixabay

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