(Peter  Schwerdtmann, Autoren-Union Mobilität) Haben die Ökofreaks vielleicht  doch recht, wenn sie behaupten, man müsse die müde Industrie nur unter  Druck setzen, dann fällt ihr auch etwas ein? Anfang der 90er Jahre des  vergangenen Jahrhunderts stimmt das mal. 
Die Amerikaner wollten  den Elektroantrieb durchsetzen und Mercedes-Benz ließ mit der Studie A  alle Traditionen hinter sich: klein statt groß, Frontantrieb statt  Heckantrieb, Heckklappe statt Kofferraum und den Antrieb nicht vorn,  sondern unter dem Fahrzeug, im Fahrzeug-Keller, was später  Sandwich-Bauweise genannt wurde. Vor 25 Jahren wurde daraus die erste  A-Klasse.
1995 hatten wir auf dem Automobilsalon noch einen  elektrischen Prototyp umkreist und uns gewundert, dass die Entwickler  aus der Natrium-Nickelchlorid-Batterie (Zebra-Batterie) tatsächlich 200  km praktisch nutzbare Reichweite holen wollten. Doch dann ließen die  Amerikaner den Druck aus dem Kessel; das Elektro-Gebot verschwand. Das  war der erste Flop. Und so erlebten wir in Genf 1997 den ersten  Kleinwagen der Stuttgarter – mit Benzinmotor. Und immer noch empfand die  Welt es als unerhört, wie der Daimler mit seiner Tradition umging.
Die  kurze, hohe Karosse mit der hohen Sitzposition der Insassen über dem  „Keller“ war nicht der einzige revolutionäre Einfluss des kleinen  Stuttgarters auf die Geschichte des Automobils. Doch wäre sein Schicksal  vorhersehbar gewesen, denn die neue Architektur hatte nicht nur  Vorteile. Aber das Unternehmen hatte Glück, weil es gleichzeitig das  Problem und unwissentlich die Lösung dafür entwickelt hatte.
Im  Sommer 1997 bei einem Fachkongress der amerikanischen Society of  Automotive Engineers (SAE) in Detroit ging es um Systeme, die in die  Fahrdynamik eingreifen konnten. Ein Bremsen- und ABS-Hersteller hatte  die führenden deutschen Automedien überzeugt, daran teilzunehmen. Sie  kannten nun das System im Detail, erst recht nach einer abendlichen  Runde mit dem Entwicklungschef von Mercedes-Benz und einem der  ABS-Erfinder.
Dann flog am 21. Oktober 1997 die A-Klasse bei  einem Elchtest in Schweden durch die Luft. Und etliche Medien sahen sich  in der Pflicht, den Test für ihre Leser und Zuschauer zu wiederholen.  Je nach persönlichem Einsatz dabei flog die A-Klasse oder sie flog  nicht. Wie immer – Mercedes-Benz hatte ein Problem, aber auch die Lösung  schnell bei der Hand: das vom Mercedes-Mann Armin Müller und dem  ABS-Vater Anton van Zanten bei Bosch entwickelte Elektronische  Stabilitätsprogramm (ESP), jüngst vorgestellt bei der SAE-Konferenz. Das  System konnte mit gezielten Bremseingriffen den Nachteil des hohen  Schwerpunkts wegregeln. Der wäre allerdings nie gefährlich  hochgewandert, wenn die A-Klasse wirklich ein Elektroauto geworden wäre,  weil die schwere Batterie sie am Boden gehalten hätte.
Noch ein  Konjunktiv: Hätte die A-Klasse einen Elektroantrieb bekommen, hätten die  Mobile aller Klassen noch lange auf das ESP warten müssen. Denn geplant  war ein Einstieg der neuen Technologie von ganz oben. Beim  Zwölfzylinder S 600 Coupé (C140) gab es das ESP serienmäßig, beim  Achtzylinder kostete es knapp 2500 DM Aufpreis. Doch mit der  Entscheidung, mit dem serienmäßigen Einbau von ESP das kleinste Modell  der Marke zu retten, setzte Mercedes-Benz die ganze Industrie in  Zugzwang. Alle wollten auf einmal das ESP so schnell wie möglich. So  wurde aus dem zweiten Flop ein Innovationsschub.
Wie groß die  Panik bei den anderen war, zeigte der Anruf von Ferdinand Piech bei  besagtem Bremsenhersteller. Er bestellte mit viel Druck 1,2 Millionen  ESP-Systeme, obwohl die Fahrzeuge seiner Marke technisch gar nicht dafür  geeignet waren. ESP braucht den elektronischen Zugriff auf die  Steuerung des Motors. Der kam aber erst später – erstmal nur für das  ESP.
Mit ESP begann die A-Klasse ihre erstaunliche Karriere als  freches Fahrzeug für die junge Familie und sie endete als  Lieblingsfahrzeug der Silberrücken, die die hohe Sitzposition zu  schätzen wussten. Das Ende des ursprünglichen Konzepts der A-Klasse vor  einem Jahrzehnt löste bei dieser Zielgruppe sogar Abwanderungsbewegungen  in Richtung von Kompaktvans wie dem Volkswagen Golf Plus aus. Die neue,  flache A-Klasse hatte wieder die Jugend im Blick und die dann folgende  B-Klasse wieder so wirkte, wie Mercedes-Benz die Erwartungen der  alternden Bevölkerung einschätze: konventionell.
Die Trauer bei  den Liebhabern der alten Form war groß. Aber der Erfolg gab den  Stuttgartern recht. Die Jüngeren greifen eher zur A-Klasse, die Älteren  eher zur B-Klasse und in Summe wurde so beide Modellreigen zu einem  starken Standbein der Marke.
In dieser Zeit, in der sich der  Start der A-Klasse zum 25sten Mal jährt, widmen sich die Stuttgarter  aber eher dem Bau der großen Modelle. Wenn schon zu wenige Chips zur  Verfügung stehen, dann baut eben auch Daimler damit lieber die großen  Modelle. Wie man an den aktuellen Zahlen sieht, bleibt auf diese Weise  viel „hängen“.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz
Historie und Histörchen: Von tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten
... oder wie die A-Klasse entstand
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