Roland Tichy: Dieses Urteil hilft auch Böhmermann

Landgericht Hamburg stärkt Pressefreiheit



Das Landgericht Hamburg hat eine Klage der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) gegen das Online-Magazin Tichys Einblick zurückgewiesen und die Rechte der Presse gestärkt. In dem am 26. August 2022 verkündeten Urteil weist das Gericht den Antrag der Politikerin ab, eine Satire über Göring-Eckardt zu löschen und ihr einen Betrag von knapp 1300 Euro zu zahlen.

Die im September 2021 erschienene Glosse über Göring-Eckardts Forderung nach Gutscheinen für haushaltsnahe Dienstleistungen sei klar als Satire gekennzeichnet gewesen. Der Beitrag „Achtung Satire: Grüne wollen staatliche Gutscheine für Putzhilfen“ verletze nicht das Persönlichkeitsrecht Göring-Eckardts. Die Vizepräsidentin des Bundestages muss die Verfahrenskosten nun aus ihrem Privatvermögen bezahlen.

„Das ist ein ermutigendes Urteil. Es betont die Freiheit der Presse und stärkt die journalistische Form der Satire“, so Roland Tichy, Herausgeber und Chefredakteur von Tichys Einblick. „Dieses Urteil hilft Journalisten, bis hin zu einem Satiriker wie Böhmermann.“ In der Glosse hatte sich ein TE-Autor mit der Forderung Göring-Eckardts beschäftigt, staatlich finanzierte Gutscheine für haushaltsnahe Dienstleistungen auszugeben. In einem fiktiven, grotesk überzeichneten Interview mit Göring-Eckardt setzt sich die Zeitschrift mit der Forderung auseinander. Dagegen hatte die Grünen-Politikerin auf Unterlassung geklagt und die Löschung des Artikels verlangt, unter Androhung von Zwangsgeld und Haft.

Das Gericht schreibt in seiner Begründung, dass ein „unvoreingenommenes und verständiges Publikum“ zu der Überzeugung komme, das es sich „um einen satirischen Beitrag handelt und dass es sich bei den angeblichen Äußerungen der Klägerin um eine Übertreibung und eine Fiktion handelt und die Äußerungen erdacht sind“. Zudem sei der Text mit dem dreifachen Hinweis „Achtung Satire“ erschienen. Ausführlich setzt sich das Gericht mit dem besonderen Format der Satire auseinander. „Eine Übertreibung oder Verfälschung ist wesenseigen für die Satire, weswegen sie nicht vordergründig aufgefasst werden darf.“ Das angeblich mit Göring-Eckardt geführte Interview sei klar als Satire erkennbar. Der Autor habe ihr Worte in den Mund gelegt, die „die Position der Klägerin in grotesker Weise überzeichnet darstellen. Durch die groteske Übertreibung der Positionen der Klägerin zum von ihr vorgeschlagenen Gutscheinmodell zielt der Artikel darauf ab, diese Forderungen der Lächerlichkeit preiszugeben.“

Göring-Eckarts Anwälte der Bonner Kanzler Redeker Sellner Dahs hatten in der mündlichen Verhandlung die Ansicht vertreten, dass nur Akademiker das Interview als Satire erkennen würden, nicht aber – so wörtlich – „das dumpfe Durchschnittspublikum“. Auch diese Einordnung wies das Gericht zurück. Im Urteil heißt es: „Bereits die kuriose Übertreibung von Gender-Formen («Alleinerziehend:innen», «Grün:innen»), die groteske Forderung, Studierende bestimmter Studienrichtungen («Geisteswissenschaften, dem Völkerrecht sowie in den Klima- und Gender-Studiengängen») sollten von Hausarbeit entlastet und die offen diskriminierende Behauptung, «Nicht-Akademiker:innen» könnten Hausarbeit besser leisten und «Migranten-Großfamilien» sollten «an deutsche Reinlichkeitsstandards herangeführt» werden, führen dazu, dass es für den durchschnittlichen Leser fernliegend erscheinen muss, dass diese Äußerungen tatsächlich von der Klägerin stammen.“

„Dieses Urteil gibt uns Journalisten wieder ein Stück Freiheit zurück“, so Roland Tichy. Viele Klagen, etwa von Prominenten, Politikern und NGOs gegen Magazine, hätten dazu geführt, dass viele Journalisten deutlich zurückhaltender schreiben. „Die Rechtsprechung hat Journalisten in der Vergangenheit verunsichert, Verlage scheuen die Auseinandersetzung. Dieses Urteil stärkt dagegen unsere Arbeit und die Pressefreiheit.“

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