Nepal - Götter, Gletscher und Gebetsfahnen

Ein Reisebericht von Joseph Scheppach

Vor dem Landeanflug taucht die Kette der schnee- und eisbedeckten Gipfel des Himalaya auf. Kathmandu – wir kommen!

Sobald wir den Flughafen verlassen und von unserem freundlichen Guide im Empfang genommen werden, finden wir uns in einem Wirrwarr aus fremden Eindrücken, Gerüchen und Hupkonzerten wieder.

Der chaotisch wuselnde Verkehr auf den größeren Straßen scheint undurchdringlich. Zwischen hupenden Autos quetschen sich Moped- und Fahrradfahrer. Mädchen in dunkelblauer Schuluniform, die Haare artig mit roten Schleifen zu Schaukeln geflochten, überqueren todesmutig die Straße. Am Straßenrand laden junge Männer von Lastwagen ab, was aus anderen Landesteilen und aus Indien herangebracht wurde: Kartoffeln und Stoffballen, Reis und Stereoanlagen. Das winzige Himalaya-Königreich liegt wie ein dünnes Laken zwischen den dicken Brüdern Indien und China.

Angekommen im luxuriösen Hotel stürzen sich die ersten gleich in den Swimmingpool. Andere schlürfen Tee im Garten, wo ein grüner Papagei von Mangobaum zu Limettenbusch springt.

Erstes Ziel am nächsten Tag ist Kathmandus Altstadt. Die Spuren des Erdbebens sind deutlich zu sehen und zu spüren. Eingestürzte Mauern, beschädigte Straßen und Gehwege, tiefe Risse in Häusern und zum Teil auch eingestürzte Häuser. Das Ausmaß der Zerstörung ist jedoch nicht so groß wie viele wohl erwarten. Das Leben nimmt seinen Gang. Die Straßen sind voller Menschen, die Märkte und Geschäfte sind in Betrieb. Betritt man einen Laden, legt der Besitzer die Hände vor die Brust und sagt: „Namaste!“ (Ich grüße den Gott in dir!) Man erwidert die Begrüßung mit einer spiegelgleichen Verbeugung.

Durch enge Gassen erreichen wir den Durbar Square, das historische Herz von Kathmandu, auf dem auch der Palast der Könige steht. Mehr als 50 Pagoden und Tempel säumen den Platz. Der Eintritt auf den autofreien Platz, der Mitte der 1970er Jahre von der UNESCO restauriert wurde, kostet 200 Rupien.

Eine Statue des Affengottes, der von den alten Kriegern verehrt wurde, bewacht den Eingang des Palastes. Zum Gebetsritual gehört es, die Statue mehrfach gegen den Uhrzeigersinn zu umrunden. Das Goldene Tor gegenüber ist der Eingang zum alten Palast und wird von zwei weißen Löwen aus Stein flankiert. Auf den Löwen reiten die Götter Shiva und Parvati. In der Mitte des Tores, das aus Messing gefertigt ist, werden Szenen aus dem hinduistischen Epos Mahabharata dargestellt. Unmittelbar hinter dem Tor steht die Narasinha-Statue. Sie stellt den Gott Vishnu in Gestalt eines Löwenmenschen im Kampf gegen einen Dämonen dar. Die Wohngebäude der Malla-Könige befinden sich nördlich des Tanz-Hofes. Wir als Ausländer haben in diesen Teil des Palastes allerdings keinen Zutritt. Ebenfalls verschlossen ist der MulChowk. Einst wurden dort Tieropfer dargebracht, heute dient er für religiöse Feierlichkeiten und Staatsakte. Der 35 Meter hohe Taleju-Tempel überragt die anderen Gebäude des Komplexes. Die Malla-Könige huldigten hier der Göttin Kali, die wegen ihrer Blutrünstigkeit gefürchtet wird.

Die Macht der Vergangenheit umhüllt mich. Ich setze mich vor eine Statue und beginne einen stummen Dialog mit ihr, starre in die Augen gemalter Dämonen, fahre mit den Fingern über glattgeschliffene Holztüren und will gar nicht mehr weiter.

Aber am westlichen Tor, das in den Hof des Machhendranath Tempels führt, lockt der Markt mit seinem bunten Treiben. Auf dem Töpfermarkt stapeln sich mannshoch Gefäße, Schüsseln, Figuren und symbolträchtige Tiere. Vor uns schwebt ein Doppelbett, gefolgt von einem mächtigen Kleiderschrank und einer kompletten Sofagarnitur mit zwei wuchtigen Sesseln. Dünne, sehnenharte Männerbeine lugen unter Sofa und Bett hervor.

Am nächsten Tag geht es in die ehemalige Königsstadt Patan mit dem herausragenden Königspalast aus dem 17. Jahrhundert. Der Goldene Tempel mit seinem vergoldeten Eingang gilt als schönster und bedeutendster Tempel Patans. 365 Stufen führen hinauf zum Heiligtum Swayambunath. Von hier aus genießen wir einen faszinierenden Rundblick über das Kathmandu-Tal – und die Berge.

Die Götter leben auf den Bergen, glauben die Nepalesen. Acht der 14 Achttausender der Welt stehen in Nepal. Und drei davon nun vor uns: der majestätische Annapurna, 'die Nahrung spendende Göttin', der schneebedeckte Manaslu, 'Sitz der Seele Gottes', und der einsame Dhaulagiri, der 'weiße Berg'.

Die Stupa Svayambhunath ist eines der ältesten buddhistischen Heiligtümer im Kathmandu-Tal. Die Augen Buddhas, die auf allen vier Seiten der Statue am Stupaturm gemalt sind, schauen in alle vier Himmelsrichtungen über Kathmandu hinweg. Girlanden mit unzähligen bunten tibetischen Gebetsfähnchen flattern ringsum in der leichten Brise. Über diesem imposanten Bauwerk wölbt sich ein blauer Himmel, an dem gewaltige weiße Wolkenberge aufzusteigen beginnen. Welch ein faszinierender Anblick und welch eine mystische Stimmung. Die Luft ist erfüllt vom dumpfen, immer wiederkehrenden Mantra Dutzender betender Buddhisten „Om mani padme hum" ("Oh Du Juwel in der Lotosblüte"). Im Uhrzeigersinn umkreisen sie das Bauwerk. Leise knattern die Gebetsmühlen. Ich atme Räucherstäbchenduft, lausche den Gongschlägen und sehe den Schatten der Wolken hinterher, die an den Flanken der Stupa entlanggleiten.

Der nächste Ausflug führt in die rund 30 km entfernte ehemalige Königsstadt Bhaktapur. Tempel und Pagoden mit prächtigen Holzschnitzereien präsentieren sich mitten im Alltagsleben. Ziegen, Hühner und Truthähne, Früchte und Gemüse sowie Frauen beim Reisstrohdreschen bilden eine bunte Kulisse.

In Bodnath befindet sich das tibetische Zentrum der Hauptstadt mit seiner zentralen Stupa. Sie ist neben Swayambhunath das wichtigste Heiligtum des Buddhismus in Nepal. Ein Durchmesser von 40 Metern und eine Höhe von 36 Metern machen den Stupa außerdem zu einem der größten Heiligtümer des Buddhismus weltweit. 1959 entstand nach der Flucht des Dalai Lama aus Tibet hier ein neues Glaubenszentrum für den tibetischen Buddhismus.

An den unteren Stufen werden mannshohe Gebetsmühlen von den Gläubigen gedreht. Sie sind dabei in tiefer Andacht versunken, eine wirklich sehr spirituelle Szenerie.

Als letzter Programmpunkt erwartet uns das hinduistische Heiligtum Pashupatinath mit seinen Verbrennungsstätten am Bagmati-Fluss. Auf dem Weg halbnackte Sahus, die um ein paar Münzen betteln. In den Bäumen hinter uns schnattern Affen. Süßlicher Rauch erfüllt die Luft am südlichen Teil, dem Ram Ghats, der von allen Kasten für die Verbrennungs-Zeremonien genutzt wird.

Wer am Bagmati-Fluss verbrannt und dessen Asche dann in den Fluss gestreut wird, darf auf eine gute Wiedergeburt hoffen. Das Feuer bewirkt eine große Reinigung und erlaubt der Seele, den Körper zu verlassen.

Am Ufer wird Wäsche gewaschen, während die Flammen eines Scheiterhaufens über einer Leiche knistern. Männer suchen mit Rechen im dunklen Schlamm nach Schmuck, der mitsamt der Asche eines Toten im Fluss gelandet sein mag.

Nach einem beeindruckenden Tag, steht am nächsten Morgen eine kurzweilige, rund sechsstündige Fahrt in den Chitwan-Nationalpark an. Wer erwartet, in Nepal nur hohe Berge und alte buddhistische Tempel vorzufinden, ist überrascht von diesem über 900 qkm großen Dschungel im Süden des Landes, an der Grenze zu Indien.

Der Park bietet Aktivitäten für alle Altersgruppen an, vom Kleinkind bis zum Greis. Chitwan gilt als letztes Refugium für das Rhinozeros im subtropischen Dschungel des Terai.



Bei unserer Ankunft in der Lodge steht die späte Nachmittagssonne wie ein roter Feuerball am Horizont und taucht die grasbewachsene Ebene in ein goldenes Licht. Am nächsten Tag reiten wir auf einem Elefanten. Leider bekommen wir auf unserer Dschungelpirsch mit erfahrenen Parkführern keines dieser Nashörner zu sehen.

Doch dafür entschädigt das Beobachten der Vögel. Es wimmelt nur so von ihnen: Brahmanenenten, Silberreiher, Eisvögel, Schwarzstörche, Weißstörche, Sittiche, verschiedene rote Dschungelhühner, Raubvögel, Spechte, Pfauen und Bienenfresser.

Am nächsten Tag ein kleiner Ausflug mit unserem Guide. Kaum haben wir die Wege der Lodge verlassen, hebt der Guide das Blatt eines Salbaums vom Boden auf. „Die Leute hier benutzen solche Blätter als Teller bei Feiern oder als Unterlage für Opfergaben an die Götter“, erklärt er. Er zeigt uns einen Baum, aus dem sich am besten ein Kanu herausmeißeln lässt, pflückt Blätter, die in Currygericht würzen, und andere, aus denen sich ein Antiseptikum brauen lässt.

Nach dem Besuch einer Elefanten-Farm beschließt eine eindrucksvolle Tanzdarbietung der Tharus diesen spannenden Tag.

Weiter geht es nach Bandipur. Schon die Busfahrt ist ein großes Erlebnis. Herrliche Landschaften und der Einblick in das Leben nepalesischer Dörfer begleiten uns auf dieser Fahrt. In sanften Schwüngen fahren wir dahin, vor uns erstrecken sich gelbe Rapsfelder bis zum Horizont. Das mittelalterlich anmutende Dorf Bandipur zeugt mit seinen zahlreichen Tempeln und traditionellen Gebäuden von der Handwerkskunst der Newar-Kultur. In dem Dorf, in dem keine Autos fahren, genießen wir die authentische Übernachtung in einem rustikalen, liebevoll gestalteten Heritage-Hotel. Die typischen Newari - Häuser des gleichnamigen Volksstammes haben prächtig geschnitzte Fenster und mehrflügelige Holztüren - die unterste Etage steht tagsüber praktisch völlig offen!

Die traumhafte Berglage von Bandipur ermöglicht bei guter Sicht unvergessliche Ausblicke auf die schneebedeckten Himalaya-Riesen. Und einen herrlichen Blick auf die mächtigen Himalayagipfel genießen wir auch bei einer Wanderung gemeinsam mit einem Guide ins nahe gelegene Dorf Ramkot. Überall wächst und wuchert es, die Windungen eines Flusses im Tal sind silberfarbene Pinselstriche. Zwischen verstreuten Lehmhütten dehnen sich die Reisterrassen in gleichmäßigen, konzentrischen Wellen und brechen sich an den mannshohen Bambusbüschen. In Ramkot scheint die Zeit still zu stehen. Auf dem Dorfplatz mahlen Frauen Reis auf zwei zentnerschweren Lehmsteinen, andere flegeln Weizen in der Mittagssonne, wieder andere backen Schmalzringe auf dem offenen Feuer.

Die Menschen strahlen Gelassenheit und gute Laune aus. Ihre Gesichter spiegeln die Mühsal und die Würde eines bäuerlichen Lebens. Ihr Lachen vertieft die Furchen, die Feldarbeit und Himalayasonne um ihre Augen gezeichnet haben. Die Schönheit der Frauen ist umgekehrt proportional zum Estee-Lauder-Prinzip: Sie werden mit jeder Falte schöner.

Das Lokalgericht der Gegend wird auf den Bastmatten am Boden auftischt: Reis, bittere Linsen, dazu silberne Töpfchen mit selbstgemachtem Marihuana-Chutney (es hat keine Rauschwirkung und dient hier einfach als Nahrungsmittel). Wir graben unsere Finger in den Linsenbrei und versuchen, wenigstens die Hälfte davon in den Mund zu bringen. Einhändig, mit der rechten Hand natürlich, die 'unreine' Linke muss brav auf der Matte bleiben, denn sie ersetzt nach der Mahlzeit das Toilettenpapier.

Am letzten Tag in Bandipur verabschiedet sich das Hotelpersonal ganz herzlich. Wir bekommen einen Tika auf die Stirn und einen hellen Schal umgelegt.

Am 9. Tag unserer Reise geht es von Bandipur nach Pokhara, das in einem atemberaubenden schönen und fruchtbaren Tal liegt. Der Name Pokhara ist sehr alt und wurde abgeleitet von dem Wort Pokhari, was so viel bedeutet wie Teich oder See. Nach einer Bootstour auf dem Fewa Lake erkunden wir die vielen idyllischen Ecken, die es Pokhara zu entdecken gibt. Der Ort in 827 Meter Höhe war früher ein wichtiger Handelsort zwischen Indien und Tibet. Der Handel der Tibeter kam jedoch nach der Entmachtung Tibets durch die Chinesen zum Erliegen.

Geblieben sind die großartige Ausblicke auf das Himalaya- Massiv - am besten frühmorgens. Die Schönheit der unberührten Natur und die zum Greifen nahen Berge machen Pokhara unvergesslich.

Mit dem Bus geht es zurück nach Kathmandu, wo am nächsten Tag eine neun Kilometer lange Wanderung nach Nagarkot auf dem Programm steht. Es präsentiert sich ein fantastischer Blick auf die Gebirgskette des Langtang-Himals mit den Gipfeln des LangtangLirung I (7226 m) und des Gan Chenpo (6387 m).

Der Ort Nagarkot erstreckt sich über den Bergrücken. Am höchsten Punkt des Ortes findet man einen kleinen Stupa. Von dort steigen wir über wenige Stufen zu einer Aussichtsplattform hoch, von wo aus man den besten Blick hat.

Am Abend lockt ein nepalesisches Essen mit folkloristischen Darbietungen im BhojanGriha, einem geschmackvoll restaurierten Ranapalast. Es gibt ein mehrgängiges Menü unter anderem mit dhal bat (Reis mit Linsen) und alutareko (Kartoffelcurry).
Ein köstlicher Abschluss einer unvergesslichen Reise.

Die Teilnahme an der Recherchereise wurde unterstützt von Gebeco.

Fotos: © Gebeco

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