Diese Ausstellung widmet sich einer Kölner Firma. Wie Karneval und Kölsch steht sie für Tradition und Kontinuität. Ein erstes Haus am Platze, doch mit weichen Wänden und weit geöffneten Türen. Ausweitung und Neuerfindung gehören genauso zum Kerngeschäft wie die gerade Bassdrum, garniert mit einem Hauch der Lebensgier von Hildegard Knef.
Das Prinzip des „Nicht mehr als notwendig“ wandert durch die Gegenwarten mit einem schlichten Punkt als Markenzeichen. Ein Manifest der Selbstbestimmung und des ästhetischen Minimalismus. Dem Techno standesgemäß, wird nicht nach Stars und Sternchen katalogisiert, sondern anhand nüchterner Zahlen. 500 zählen noch keine Jahre, aber Katalognummern der eigenen Produktion, ein Meilenstein, der nun mit dieser Ausstellung gefeiert werden soll: Seit über dreißig Jahren beeinflussen und beflügeln Kompakt mit ihrem Schaffen die Welt der Musik wie der Kunst. In der Werderstraße, ihrem Sitz, befindet sich ein Freiraum nach dem Vorbild von Andy Warhols Factory; dort werden gegen die Teilung der Arbeit im Laden Platten verkauft, in den Studios Musik produziert, an Schreibtischen gewirtschaftet, beworben und organisiert. In diesem Haus gegen das entfremdete Leben wird aber auch gekocht, gewohnt und gefeiert. Kompakt ist nicht zuletzt die Geschichte einer organisch entstandenen Existenz, hervorgegangen aus einer Gruppe von Freunden und Freundinnen mit dem geteilten Fieber für die elektronische Musik. Doch auch wenn sich anfangs alles aus Jux und Laune ergeben hat, verkörpert Kompakt in dem Anspruch, alles in die eigenen Hände zu nehmen, auch eine politische Idee von Autonomie. Fremdsteuerung durch Großkonzerne wie entfremdete Produktionsbedingungen hat das Indie-Label bis heute, auch ökonomisch, erfolgreich unterwandert.
Doch wie fing das alles an? Zu Beginn der Neunziger Jahre galten Frankfurt und Berlin als Zentren des Europäischen Tekkno, wie die Musikrichtung, die sich aus der Rave-Geschichte heraus geformt hatte, anfangs noch buchstabiert wurde. Köln schlief aber nicht. Eine junge Generation trat auf die Bühnen und mischte im Geschehen rasch mit. Sie erfanden nicht nur eine eigene, minimalistische Spielart des Techno, der als „Sound of Cologne“ in die Musikgeschichte einging, sie veränderten auch die kulturelle Atmosphäre der Stadt. In dieser Zeit, in der die Musik- und Kunstszene sich anders vermischte als heute, herrschte gerade in der Kunst ein bis in die Gegenwart vielbeschworener Umgangston einer maskulinen Härte. Angriffig und massiv waren jetzt die Musik und die Clubunternehmungen dieser jungen Leute, der soziale Umgang hingegen war nicht aggressiv. Der gute Ton der achtziger Jahre kam langsam zum Erliegen. Das bedeutete gerade für jene in der Kunst, die unter dem Testosteron Gemetzel besonders gelitten hatten, eine Erleichterung. Jetzt brannte eine Gemeinschaft zusammen für einen Aufbruch, es war viel zu aufregend, was in der Musik passierte, verbale Prügel, warum, wozu. Es konnte Musikgeschichte in Echtzeit mitgeschrieben werden, wie das Erleben der Neunziger rückblickend oft beschrieben wird. Techno galt damals noch als alternative Musik, die im Prinzip jede und jeder machen konnte, weshalb manche behaupteten, es handle sich um den nächsten Punk. Aber im Gegensatz zur „No Future“-Ethik lautete die Losung jetzt „Schlafen ist Kommerz“ (R. Goetz). Statt Nihilismus war da ein positives, ekstatisches Grundgefühl. Überhaupt lebte es sich anfangs im Techno demokratischer, auch anonymer, verehrt wurden nicht Einzelne und es galt für einen Moment die Freiheit, das eigene Schaffen nicht erklären zu müssen.
Am 1. März 1993 eröffneten Jörg Burger, Wolfgang Voigt, Reinhard Voigt, Jürgen Paape und Michael Mayer in der Gladbacher Straße im Belgischen Viertel den Plattenladen „Delirium“. Es handelte sich um den rheinischen Franchise-Ableger des gleichnamigen Frankfurter Plattenladens, der für Techno und seine Variationen in Deutschland bislang eine der Anlaufstellen gewesen war. In Köln machten die 5 Gründer aber von vornherein nicht nur musikalisch ihr eigenes Ding, auch der Look spielte eine große Rolle. So gestaltete z.B. die DJ und Grafikdesignerin Bianca Strauch viele der frühen hauseigenen Plattencover und prägte den markanten Look der 1994 von Jörg Burger gegründeten Techno-Gazette „House Attack“.
Dem Plattenladen vorausgegangen waren bereits ab 1991 erste von Wolfgang Voigt und Jörg Burger betriebene Labels wie Trance Atlantic, Monochrome oder Structure. Unter Pseudonymen wie Burger Industries und Mike Ink veröffentlichten sie frühe Acid House Tracks mit kölscher Note. Neue Labels, wie Profan oder NTA wurden gegründet auf denen u.a. auch Reinhard Voigt, Jürgen Paape und Michael Mayer ihre ersten eigenen Produktionen veröffentlichten. Es manifestierten sich schon früh die musikalischen Verästelungen von Kompakt, die sich nicht nur auf Techno eingeschworen hatten, sondern ihre an Pop, Disco, Jazz, Kraut und Neuer Musik geschulten Geschmäcker mit einfließen ließen und dadurch eine eigene Soundrichtung prägten, die als „Sound Of Cologne“ oder „Köln Minimal Techno“ weltweit bekannt werden sollte.
Jörg Burger entwickelte als „The Bionaut“ oder „The Modernist“ seine Soundästhetik weiter. Wolfgang Voigt setzte mit formstrengen Konzept-Techno-Reihen wie Studio 1 oder dem Projekt M:I:5 der abstrakten Dekonstruktion sample-basierter Beats, neue Maßstäbe. Sein bekanntestes Projekt „GAS“ widmet sich einer abstrakt-ambienten Spielart der elektronischen Musik, die durch warme und sphärische Klanglandschaften charakterisiert ist und im Kontrast zum Techno, den Rhythmus in den Hintergrund stellt.
1995 erfolgte der erste Umzug des Ladens in die Brabanter Straße, wo etwa auch die Galerie Nagel ihren damaligen Sitz hatte.
Was mit einem improvisierten Tun begonnen hatte, entwickelte sich ab Mitte der Neunziger immer mehr in ein Unternehmen mit komplexer Struktur: ein Musikvertrieb, der eigene und externe Produktionen vertreibt. Aus dem anfänglich selbstorganisierten Laden mit Freunden und für Freundinnen des Techno, wo anfangs die Vinylplatten in ein paar Plastikkisten auf improvisierten Baumarktregalen rumstanden (ein Schock für extra Angereiste), wurde ab Mitte der Neunziger ein „8-Stunden-Selbstverwaltungstag im Auftrag der Vermarktung der eigenen Musik“ (Voigt).
1998 erfolgte die Umbenennung in Kompakt und die Gründung des gleichnamigen Labels und des eigenen Vertriebes. Der Name räumte auf und brachte all die Produktionen und Sublabels zusammen, die die Gruppe bereits entwickelt hatte und noch entwickeln sollte.
1997 schuf Voigt in Handarbeit das originale Kompakt-Logo mit dem Punkt davor, wie auch die markante Punkteleiste auf der Rückseite aller Kompakt Platten. Die Punkte-Etiketten und die Punkte-Plattencover, der Kompakt Kompilation Reihe „Total“ stammen von Bianca Strauch. Das doppelköpfige Adler-Logo kam 2001 hinzu und wurde ursprünglich für das Sublabel „Kompakt Extra / Speicher“ entworfen. Es basiert auf dem alten Kölner Stadtwappen und versinnbildlicht auch: Kompakt ist aus Köln und für Köln, auch wenn das Label sich international bewegt.
Aber nochmals zurück in die Neunziger. Während Kompakt in der Brabanter Straße seine Tätigkeit immer mehr zu einer Form schliff, hatte Köln zwar bereits den ersten Kunstschwund hinter sich – die nach dem Mauerfall ausgelöste Abwanderung nach Berlin – doch war immer noch genügend los durch die vielen hier lebenden Künstlerinnen und Künstler, Galerien wie Buchholz, Gisela Capitain, Nagel, Sprüth Magers und auch Texte zur Kunst und Spex residierten in der Stadt. Abende konnten so aussehen: Nach einer Ausstellungseröffnung ging es zur Total Confusion-Partyreihe im Club Studio 672 im Stadtgarten, die von Michael Mayer (DJ Kompakt) und Tobias Thomas (DJ, Musikjournalist) und dem Clubbetreiber Ralph Christoph ausgerichtet wurde und in denen musikalisch „transgressive“ Nächte erlebt wurden, wie Dabeigewesene beschreiben. Die Verbindungen zur Kunst ergaben sich aber auch durch das Selbstverständnis einer offenen Vielstimmigkeit von Kompakt, dessen Kosmos von Anfang an von Meteoriten aus der Kunst durchstrahlt war. Künstler und Künstlerinnen waren nicht nur im Plattenladen und bei Clubnächten präsent, wodurch sich Szenen vermischten, sie gestalteten Cover und machten selbst Musik, die von Kompakt vertrieben wurde.
Die Ausstellung Kompakt 500 handelt von 33,3 Jahren Kompakt und einem Schwerpunkt, der immer wieder Brücken zur Bildenden Kunst schlägt. Die Ausstellung ist der Versuch, diesen Lebens- und Produktionszusammenhang sichtbar zu machen.
In einer Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche ist es hilfreich, einen Blick zurückzuwerfen in andere Jahrzehnte der Transformationen. Jedoch geht es hier nicht um einen nostalgischen Blick, denn Kompakt sind alles andere als wehmütig, dazu sind sie nicht nur viel zu neugierig auf das, was noch geht, sie gehen mit der Bassdrum vorwärts und machen voller Lust weiter.
Kompakt 500 handelt so gesehen von einem Rückblick mit Ausblick, der sagt, schön war’s und jetzt erst recht.
Der Studioraum widmet sich „Pop Ambient“ – (Vinyl-Kompilationreihe seit 2001), deren ikonische Blüten- und Blumencover seit Beginn an von der Grafikdesignerin, Künstlerin und DJ Veronika Unland gestaltet werden. Unland ist seit Anfang der neunziger Jahre fester Teil des Kompakt-Kosmos und hat neben den Pop Ambient Covern auch zahlreiche weitere künstlerische Beiträge geschaffen. Was die floralen Motive betrifft, wird Unland von den Blumen gefunden, ein Prozess zwischen Zufall und Bestimmung; die Fotografien bearbeitet die Künstlerin anschließend mittels Bildbearbeitungsprogrammen, lässt die Blütenblätter eine „Evolution“ durchlaufen, um sie in etwas anderes, Unbestimmtes aufzulösen.
In der Halle im Erdgeschoss versammeln sich auf der „Wand aus Klang“ chronologisch alle 500 Cover des Hauptlabels seit 1998. In der Ausstellung findet sich zudem eine repräsentative Auswahl all jener Cover der unzähligen Vorläufer- und Sub-Labels. Ebenso Teil der Schau sind limitierte Editionen und Unikate von so genannten Kunstplatten, wie etwa „Kafkatrax“ (2011), die auf der Ebene von Techno mit der menschlichen Stimme experimentiert oder „Sun Ra Loops“ (2024), die anlässlich der Ausstellung „Nothing Is: Sun Ra and Other Covers“ in der Kölner Galerie JUBG ausgestellt war.
Speziell für die Ausstellung im Kölnischen Kunstverein haben Kompakt zahlreiche Künstler, Künstlerinnen sowie Grafikerinnen eingeladen, das Adlerlogo visuell zu „remixen“. Ebenso sind weitere Kunstwerke, Malerei, Skulptur, Fotografie, aus unterschiedlichen Produktionskontexten zu sehen, so dienten einige dieser Werke als Vorlage für Plattencover. Um in diesem reichen Kosmos von Musik und ihrer visuellen Seite auch die sozialen Zusammenhänge und gelebte Geschichte zu verlebendigen, werden auch Poster, Flyer, Fotos, Merchandise-Artikel, historische Clubwear und andere Raritäten, Zeitungsfeatures und Pressefotos versammelt.
Im Kino des Kunstvereins (EG, Foyer) läuft zudem in Dauerschleife ein zweistündiges Programm von Musikvideos von Kompakt-Produktionen. Zur Eröffnung am 23. Mai erscheint auf Kompakt die umfangreiche Jubiläumsbox Kompakt 500 Sie enthält fünf Vinyl Alben mit 50 ausgesuchten Tracks aus 33 1/3 Jahren, eine exklusive 10-Inch Picture Disc und ein reichbebildertes 144 Seiten Buch zur gesamten Kompakt Geschichte mit zahlreichen Gastbeiträgen. Es lässt sich als Werkverzeichnis, geschriebene Musikgeschichte und Stimmungsatlas der Dekaden lesen. Die Box, sowie das Buch werden am Eröffnungsabend im UG des Kunstvereins am Kompakt Pop-Up Shop erhältlich sein.
Text: Valérie Knoll
Kölnischer Kunstverein
Hahnenstraße 6, 50667 Köln
Telefon +49 (0) 221 217021
info@koelnischerkunstverein.de
Öffnungszeiten Di – So von 11 – 18 Uhr, Mo geschlossen
Bild: Ausstellungsbanner
KOMPAKT 500
... im Kölnischer Kunstverein
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