
Krieg,  Flucht, Energie, Klima – viele Krisen treten aktuell gebündelt auf.  Unter anderem Vertrauen trägt dabei zum Zusammenhalten und Funktionieren  von Gesellschaften bei, ist eine der Quintessenzen der 6. „vechtaer trust lecture“. 
Doch  sind Proteste durch unterschiedliche Gruppen Ausdruck von starkem  Misstrauen in die Demokratie und die politischen Prozesse? Dass dies  nicht der Fall sein muss, hat Prof. Dr. Matthias Quent bei der digitalen  Veranstaltung des Zentrums für Vertrauensforschung (ZfV) an der  Universität Vechta aufgezeigt. Der Wissenschaftler von der Hochschule  Magdeburg-Stendal sprach dabei unter dem Thema „Vertrauen – Kitt unserer  Gesellschaft?“ über die Bedeutung von Vertrauen und Misstrauen im  Kontext des gesellschaftlichen Zusammenhaltes.
„In meiner  vergangenen Eröffnung der ‚trust lecture‘ mit dem ehemaligen  Bundesinnenminister Dr. Seiters durfte ich bereits meine Sorge über das  sinkende Vertrauen in die politischen Institutionen zum Ausdruck  bringen“, sagte Prof.in Dr.in Verena Pietzner. Doch es gebe auch  beispielsweise Studien, die Hoffnung machen würden, dass die  Allgemeinheit in Deutschland zufriedener mit der Staatsform Demokratie  sei, als noch vor wenigen Jahren, so die Universitätspräsidentin.  „Aufgrund der vielfachen Krisenerfahrungen und gewachsenen  Unsicherheiten rufen viele Menschen nach einem starken autoritären  Staat. Gleichzeitig fühlen sich viele Deutsche ohnmächtig, haben das  Gefühl, politisch keinen Einfluss nehmen zu können und sind überfordert  durch die steigende Komplexität im Alltag.“ Die entstehenden  Zukunftsängste würden Rechtsradikale und rechtsextreme Gruppierungen  ausnutzen. Veranstalter Prof. Dr. Martin K.W. Schweer pflichtet bei:  Krisen seinen Belastungsproben für den Gesellschaftlichen Zusammenhalt,  so der Leiter des ZfV. Vertrauen spiele hier eine wichtige Rolle.
Quent  vertieft das Thema. Vertrauen könne als die Erwartbarkeit an eine  bestimmte Handlung anderer Menschen oder Institutionen definiert werden,  so der Gründer und ehemalige Leiter des Instituts für Demokratie und  Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Beispielsweise könne erwartet werden,  dass mit einem Studium und dessen Abschluss die Zusage zu einem  gewünschten Job wahrscheinlicher ist, als ohne Studium. Oder aber man  vertraut drauf, dass in einer Demokratie die vielfältigen Meinungen  berücksichtigt werden und der Mehrheitsentscheid gilt. Bei Krisen  hingegen sei dieses Vertrauen gestört. 
Quent überträgt die  Gedanken auf ein Konstrukt Pierre Bourdieus: Mit Doxa bezeichnet der  französische Soziologe alle Überzeugungen und Meinungen, die von einer  Gesellschaft unhinterfragt als wirklich oder wahr angenommen werden. Bei  der Orthodoxie seien es kollektive Überzeugungen und  Wirklichkeitsannahmen, von der die überwiegende Mehrheit der  Gesellschaft überzeugt ist. So könne eine Gesellschaft durch allgemein  begründetes Vertrauen, beispielsweise in die Wissenschaft oder die  Demokratie, stabilisiert werden. Heterodoxie beschreibe hingegen alle  Meinungen, Vorstellungen und Behauptungen, die in einer Gesellschaft  heftig debattiert würden und umstritten seien, erklärt Quent. 
Diese  Gegenentwürfe, Widersprüche zum „Mainstream“ würden durch Krisen  Zuspruch erhalten. Gezeigt habe sich dies beispielsweis in der  Querdenkerszene während der Coronapandemie, so der Wissenschaftler. Und  drückt sich durch so entstehende Proteste nun ein Misstrauen in das  politische System aus? Nicht unbedingt, meint Quent. Misstrauen sei hier  nämlich nicht als Gegenteil von Vertrauen zu sehen. Er nennt als  Beispiel die Klimaaktivist*innen der sogenannten „Letzten Generation“.  Sie würden durch ihr Handeln zum Ausdruck bringen, dass sie Vertrauen  darin haben, etwas durch demokratische Prozesse zu verändern; und dies  mit Forderungen, welche den politischen Prozess gar nicht in Frage  stellen würden: So zählten dazu unter anderem die Einführung des  9-Euro-Tickets oder des Tempo-Limits sowie Gespräche mit der  Bundesregierung. „Damit appellieren sie zutiefst an das demokratische  Verfahren“, sagt Quent.
„vechtaer trust lecture“
Die  „vechtaer trust lecture no.7“ findet am 6. Juni statt. Stephanie zu  Gutenberg engagiert sich seit Jahren zum Thema digitale Bildung und  Medienaufklärung und spricht an dem Tag zum Thema „Vertrauen und  Misstrauen im Kontext der Digitalisierung“. Das seit dem Sommersemester  2019 laufende Format wird durch Persönlichkeiten aus unterschiedlichen  gesellschaftlichen Bereichen mit ihren ganz spezifischen Erfahrungen und  Impulsen für die Betrachtung der verschiedenen Facetten von Vertrauen  bereichert.
Zentrum für Vertrauensforschung
Mit der  Vortragsreihe „vechtaer trust lectures“ wendet sich das Zentrum für  Vertrauensforschung (ZfV) an der Universität Vechta unter der wiss.  Leitung von Univ.-Prof. Dr. Martin K.W. Schweer an die interessierte  Öffentlichkeit. Der Bedeutung von Vertrauen und Misstrauen für die  verschiedenen Bereiche gesellschaftlichen Zusammenlebens geht das ZfV  seit nunmehr fünfundzwanzig Jahren gezielt nach, um wissenschaftlich  fundierte Beiträge zur Lösung konkreter Probleme im sozialen Miteinander  leisten zu können.
Vertrauen als Kitt unserer Gesellschaft
„vechtaer trust lecture no.6“
Veröffentlicht am: 29.01.2023
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