Mercedes-Benz,  so Firmenchef Ola Källenius, setzt voll auf Elektrifizierung. Und um zu  beweisen, dass er es ernst meint, erscheint nun ein Elektroauto nach  dem anderen – mit Fähigkeiten allerdings, die das bisher Gesehene weit  übertreffen. 
Ein schönes Beispiel dafür ist der neue EQE, eine  Limousine im Format der ehrwürdigen E-Klasse – und damit mitten im Herz  der Marke positioniert. Mercedes-Benz hat zu einer ausgiebigen Mitfahrt  eingeladen, um das neue Auto zumindest vom Beifahrersitz aus erfahren zu  können.
Der EQE 350+ mit AMG-Stylingpaket zeigte dabei seine  Formen völlig ungetarnt. Mit sparsam gesetzten, klaren Linien und sehr  kraftvollen Proportionen profiliert er sich klar als Schwestermodell der  großen EQS-Limousine, die breite Spur bei von 321 auf 312 Zentimeter  verkürztem Radstand und die geringere Höhe sorgen dabei für noch  günstigere Proportionen. Der Nachteil der kürzeren Karosserie, die auf  der gleichen Plattform namens EVA2 steht: Die Aerodynamik liegt nicht  ganz auf dem Niveau des EQS.
Das präsentierte Fahrzeug war in  strahlendem Weiß lackiert und mit EQ-spezifischen 20-Zoll-Rädern sowie  mit Panoramadach; Mercedes bietet auch ein herkömmliches Stahldach an.  Die Türgriffe sind oberflächenbündig und fahren bei Annäherung aus,  Einstiegsvarianten werden jedoch mit herkömmlichen Türgriffen  ausgerüstet. Mit seinem intelligenten LED-Beleuchtungssystem und der  breiten Rücklichtleiste wirkt auch das EQE-Nachtdesign futuristisch.
Dieser  Look spiegelt sich im Innenraum wider, wo es viele Überschneidungen mit  dem EQS gibt; tatsächlich sind Armaturentafel und Mittelkonsole  baugleich. Das gilt auch für den optionalen „Hyperscreen“, eine massive  Glasfläche, die sich fast über die gesamte Breite des Cockpits erstreckt  und drei digitale Bildschirme beherbergt. Die Einzelbildschirme sind so  erfolgreich maskiert, dass der Eindruck eines einzigen großen Bedien-  und Informationsfeldes entsteht. Der einzige wirkliche Unterschied zum  EQS ist, dass es nicht ganz so luftig zugeht. Aber auch der EQE bietet  ungewöhnlich viel Platz. Und es gibt noch eine weitere Unterscheidung:  Die Einstiegsversionen erhalten einfachere Sitze.
Hinten wird der  Unterschied etwas deutlicher, obwohl der EQE auch hier viel Bein- und  Kopffreiheit bietet. Tatsächlich liegt das Platzangebot etwa auf dem  Niveau der nur in China erhältlichen E-Klasse mit langem Radstand,  weshalb Mercedes-Benz entschieden hat, dass beim EQE – genau wie beim  EQS – ein Radstand genügt. Einen Kompromiss mussten die Ingenieure am  Heck eingehen, um ausreichend Kopffreiheit zu schaffen: Im Gegensatz zum  EQS verfügt der EQE nicht über eine große Heckklappe, sondern über  einen normalen Kofferraumdeckel, damit keine Scharniere in den  Fahrgastraum hineinragen.
Daimler kündigt mehrere Varianten an,  einschließlich AMG-Derivaten. Zum Marktstart wird es zunächst den EQE  350+ geben, der 215 kW/292 PS leistet und auf eine besonders große  Reichweite ausgelegt ist. Endgültige Daten fehlen noch, aber wir gehen  davon aus, dass dieses Modell Entfernungen im Bereich der  Tesla-Long-Range-Modelle erreichen wird.
Angesichts des  beachtlichen Gewichts des EQE – er wiegt rund 2,5 Tonnen – haben wir in  Sachen Längsdynamik keine Wunder erwartet. Trotzdem beschleunigt der  350+ spontan und mit Nachdruck, bis die Leistungskurve etwas abfällt –  allerdings im Bereich oberhalb der Richtgeschwindigkeit, der von vielen  Elektro-Fahrern ohnehin eher ungern aufgesucht wird. Wer es weiter  treiben will, kann diesen EQE auf bis zu 210 km/h bringen. Die  Übersetzung ist einstufig, wie bei fast allen Elektroautos. Für den  Zugbetrieb ist der EQE nur mäßig geeignet; die maximale Anhängelast  dürfte deutlich unter einer Tonne liegen. Mehr wäre technisch sicher  möglich, aber der Reichweite abträglich.
Ausgerüstet mit  variabler Luftfederung und Allradlenkung wirkt das Auto agil und gut  beherrschbar (soweit wir das vom Beifahrersitz aus beurteilen konnten).  Auf engen Straßen dürfte das Fahren mehr Spaß machen als im  leistungsfähigeren, aber ausladend dimensionierten EQS. Zudem ist der  EQE rund 170 Kilogramm leichter als ein vergleichbar motorisierter und  ausgestatteter EQS, obwohl er mit rund 60 Prozent einen höheren  Stahlanteil in der Struktur hat: Das gemeinsam mit der S-Klasse vom Band  laufende Spitzenmodell liegt diesbezüglich bei rund 40 Prozent. Die  Gewichtsverteilung des EQE ist mit ca. 50:50 ideal, egal ob er mit einem  Heckmotor oder mit Front- und Heckmotor ausgestattet ist.
Bemerkenswert  ist die absolute Ruhe im EQE, unterstützt durch die nahezu perfekte  Verarbeitungsqualität dieses Vorserienmodells. Wem die Stille zu viel  wird, kann zwischen mehreren künstlichen Klangwelten wählen, die sowohl  das elektrische Gasgeben als auch die Rekuperation akustisch  widerspiegeln, die sich von Freilauf bis zum One-Pedal-Gefühl  manipulieren lässt. Darüber hinaus können eine Reihe weiterer Parameter  eingestellt werden, einschließlich der Lenkkraft. Eine Eigenart der  Benutzeroberfläche ist das beheizbare Lenkrad; sie verfügt über keinen  Knopf mehr, sondern kann nur per Sprachbefehl aktiviert oder für  bestimmte Klimatisierungsszenarien vorgewählt werden.  Gesundheitsbewusste werden sich über den HEPA-Filter freuen.
Die  bisherigen Bemühungen der Marke bei der Elektrifizierung ließen  teilweise zu wünschen übrig: Der EQC zeigt seine GLC-Wurzeln allzu  deutlich, während dem EQA die dynamischen Fähigkeiten seines  Spenderfahrzeugs, des GLA, weitgehend abgehen. Demgegenüber präsentiert  sich der EQE als ein rundum überzeugendes Elektrofahrzeug, wobei ein  finales Urteil bis zu einem Praxistest noch aussteht. Mercedes-Benz hat  aber offenbar den Sprung nach vorne geschafft; es bleibt abzuwarten, wie  sich das neue Modell gegen BMW i4, Porsche Taycan und die mittlerweile  etwas betagten Tesla-Modelle schlägt.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Mercedes-Benz
Mitfahrt im Mercedes-Benz EQE
Jens Meiners, Autoren-Union Mobilität, saß mitten im Herz der Marke
Veröffentlicht am: 11.02.2022
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