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Eine Fahrt mit dem Opel Kadett A

... dem Käfer-Rivalen und Weltenbürger



(Michael Kirchberger, Autoren-Union Mobilität) Er wurde geliebt, verachtet und besungen. 1962 ging bei Opel der erste Kadett der Nachkriegsgeschichte auf die Reise in die Welt. Er wurde nicht in Rüsselsheim gebaut, sondern in Bochum, was für das schwächelnde Ruhrgebiet ein Segen war und Arbeitsplätze schaffte.

Der Kompaktwagen sollte dem erfolgreichen Käfer des Rivalen VW das Fürchten lehren. Der nie enden wollende Zwist begann; zeitweise konnte der Kadett dessen Nachfolger Golf tatsächlich in den Senkel stellen. 2022 wird die Baureihe 60 Jahre alt, Zeit für einen Rückblick auf die Technik von damals und eine ausgedehnte Ausfahrt mit dem Jubilar.



Eigentlich beginnt die Geschichte des Kadett schon früher. Als Zweitürer mit Buckelheck wurde er in Rüsselsheim von 1936 bis 1940 gebaut. Nach dem Krieg und der Demontage der Fertigungsanlagen am Main durch die Sowjetunion startete eine Produktion bei Moskau, auf die Straßen kam er dort als Moskwitsch 400. Im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik hatte unterdessen der Käfer die Herzen der Autofahrer erobert. Das war dem Opel-Eigentümer General Motors verständlicherweise ein Dorn im Auge. Wie kann der ehemalige „Kraft-durch-Freude-Wagen“ amerikanische Autogiganten so eindeutig ins Abseits schieben? 1957 kam der Auftrag aus Detroit an den Main, man solle einen Anti-VW entwickeln. Karl Stief, der damalige Chefkonstrukteur von Opel, begann mit den Entwicklungsarbeiten hinter streng verschlossenen Türen. Erst als in Bochum die Bauarbeiten für ein neues Werk begannen, sickerte die Nachricht von der bevorstehenden Premiere einer neuen Kompaktbaureihe in die Öffentlichkeit durch.

Der Name war gesetzt, denn irgendwie kam Opel von den Marine-Dienstgraden als Modellbezeichnungen für die Autos mit dem Blitz nicht los. Und da es bereits einen Kapitän gab, der Admiral in den Startlöchern stand, war ein Kadett als kleinster nach dem Zweiten Weltkrieg gebauter Opel weiterhin sehr passend. Für Bochum war die neue Fabrik eine Wohltat, denn die Kumpel aus den Gruben fanden kaum mehr Arbeit, vor allem waren die Werker an den Fließbändern weitaus sicherer aufgehoben als in den Stollen unter Tage. Die Arbeit war weniger beschwerlich und die Bezahlung gut.

Mitte des Jahres rollte der Kadett schließlich auf die Straßen. Gerade Linien, kleine Räder auf denen Weißwandreifen aufgezogen werden konnten, und eine Zweifarblackierung gab es damals auch schon. Die Breite des Zweitürers lag bei aus heutiger Sicht unglaublichen 1,47 Meter, die Höhe bei 1,41 Meter. Der Kühlergrill reckte sich stolz dem Fahrtwind entgegen, Aerodynamik war damals noch ein weitgehend unbestelltes Feld. Aber der Kadett hatte im Vergleich zum Käfer immense Vorteile. Es gab dank der Wasserkühlung des Motors eine gut funktionierende Heizung, das Platzangebot und auch das Kofferraumvolumen war wesentlich attraktiver als beim VW. Hinterradantrieb war Pflicht in jener Zeit, verzögert wurde mit Trommelbremsen vorn und hinten.

40 PS aus einem Liter Hubraum



Ein Ein-Liter-Vierzylinder mit 40 PS (29 kW) und 70 Newtonmetern Drehmomentspitze saß unter der Haube eingebaut. Er war drehzahlfest, vertrug bis zu 6000 Touren und galt als sehr zuverlässig. 28 Sekunden soll die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h dauern, im weiß-blauen A-Kadett, den uns die Classic-Sammlung von Opel für ein paar Tage zur Verfügung gestellt hat, konnten wir diese Übung nicht nachfahren, vermutlich waren die wenig originalgetreuen dicken Teppichmatten im Fahrerfußraum der Grund, weshalb sich das Gaspedal nicht vollständig durchdrücken ließ. Nur rund 90 km/h schafften wir als Höchstgeschwindigkeit, das war aber auch genug für den sonst sehr rüstigen Senior. Nicht dass der 60 Jahre alte Kadett bar jeder Kopfstützen und Sicherheitsgurten ein Gefühl der Unsicherheit beim Umrunden von Kurven und Ecken vermittelt hätte. Aber das Fahren war in jener Zeit doch eine ganz andere Sache als heute.

Der kleine Opel glänzt und blitzt, Chromstoßstangen, Zierleisten und Ausstellfenster im Fond weisen ihn als L-Version aus. Die hat damals 5525 D-Mark gekostet, 450 D-Mark mehr als das Basismodell. Heute entspräche dieser Preis etwa 12.600 Euro, ein wirkliches Billigangebot war der Kadett also nicht. Die Tür öffnet sich und gibt den Blick auf einen sehr aufgeräumten Innenraum frei. Es riecht nach Eisen, Öl und Benzin. Vor den blau bezogenen und weich gepolsterten Sitzen prangt ein mächtiges Lenkrad mit dünnem Kunststoffkranz, geziert von einem halbkreisförmigen Hupenring. Im Cockpit rahmen Kühlwassertemperatur- und Tankanzeige den Walzentacho ein. Seine Skala reicht bis 140, bis 50 km/h bleibt er grün, wechselt bis 90 auf orange, dann wird es rot. Mit wuchtigen Kippschaltern lassen sich das Fahrlicht und die Scheibenwischer einschalten, alles funktioniert, ohne Eile, aber es funktioniert. Das Waschwasser wird über einen Gummibalg im Fußraum durch Haubendüsen auf die Frontscheiben gespritzt, und die Kontrolle der Warnblinkanlage kam später an Bord, was man ihr ansieht.

Und dann gibt es noch, ganz wichtig, den Choke. Gefühlvoll muss man mit ihm umgehen, damit der Motor rasch anspringt und die Kapazität der Sechs-Volt-Batterie nicht überstrapaziert wird. Starten ließ sich der Vierzylinder fast immer mühelos, nur nach einer kalten Nacht mit minus sechs Grad war es dem Akku zu frisch, und er scheiterte zunächst beim Versuch, das gut 90 Kilogramm schwere Motörchen anzulassen. Irgendwann ging es dann ans Ausparken: Der Blick nach hinten wird von keiner Kopfstütze oder dicken C-Säule versperrt, dafür hat der Kadett nur einen Außenspiegel auf der linken Seite. Mit dem ellenlangen Schaltknüppel wird der Rückwärtsgang – links oben – eingelegt, der Oldie rollt mit Bedacht auf die Straße. Nun der erste Gang. Hoppla, es geht noch mal rückwärts. 60 Jahre sind an der Sperre zwischen erstem und Rückwärtsgang nicht spurlos vorübergegangen, gefühlvoll gilt es, die richtige Übersetzung zu finden.

Dann aber schnurrt der Kadett los. Gemächlich, aber er kommt vom Fleck. Die erste Kurve nehmen wir vorsichtig, aber trotz der wankenden Karosserie werden wir schnell mutiger und lernen, dass es einfach gilt das Lenkrad festzuhalten und mit Schwung um die Biegung zu kommen. Die Federung ist weich und wirkt komfortabler als bei manch aktuellem Auto, die schlechten Fahrbahnbeläge Rüsselsheimer Straßen zumindest meistert der Kadett elegant. Trotz der zweilagigen Blattfedern unterm Heck.

Die Bremsen haben keine Mühe mit Leichtgewicht



Auch beim Verzögern gibt es keine Kritik, die hydraulischen Trommelbremsen sprechen gut an, haben freilich nicht den Biss moderner Auto, bringen den Kadett aber zuverlässig und schnell zum Stehen – was bei 670 Kilogramm Leergewicht keine allzu schwierige Aufgabe ist. Immerhin haben wir in den Jahren der Kindheit als Beifahrer neben Muttern am Volant einen kleinen Wohnwagen mit einem solchen Kadett von Frankfurt am Main bis nach Villach in Kärnten geschleppt. Da gab es noch keine Tauernautobahn mit Tunneln, dafür aber eine Autoverladung mit der Bahn von Böckstein nach Malnitz. Das Gespann über Tauernpass und Katschberg zu chauffieren, dafür hätten 40 PS wohl eher nicht gereicht.

Wir bringen den A-Kadett zurück in seine wohltemperierte Remise, den ehemaligen Verladebahnhof des Werks im alten Rüsselsheimer Fabrikbereich, und gönnen ihm einen letzten, vielleicht etwas wehmütigen Blick. Es war früher nicht wirklich etwas besser, in der alten Autowelt. Denn obwohl der gerade neu aufgelegte Astra mehr als doppelt so schwer ist wie sein Urahn, verbraucht er nur etwa die Hälfte der bis zu zehn Liter, die sich der Kadett genehmigt hat. Bei mindestens doppelter Leistung, versteht sich. Dennoch hat die damals Aufsehen erregende Opel-Kompaktklasse Geschichte geschrieben, die nachfolgenden Generationen auf den Rallye-Pisten dieser Erde und im Alltag in Stadt und auf dem Land. Nur bis August 1965 wurde die erste Generation gebaut, wer A sagt muss auch B sagen, hieß es damals, als der Nachfolger antrat. 649.512 Exemplare wurden in diesen drei Jahren verkauft, darunter der Caravan genannte Kombi und das schnittige Coupé.

Zum Erfolg beigetragen hatten die die so genannten CKD-Bausätze (Completly Knocked Down), die in Kisten als vollständig zerlegte Fahrzeuge zu den GM-Werken in Belgien, Dänemark, Peru, Portugal, Uruguay und Venezuela geschafft wurden, wo man sie wieder zusammenbaute. Sogar in die Vereinigten Staaten hat es der A-Kadett geschafft, wo ihn 500 Händler der GM-Marke Buick verkauften. Er war ein globaler Spieler in der Autoszene, was in jenen Jahren keine Selbstverständlichkeit war. Und er hat ein wenig vom Duft der weiten Welt bis nach Rüsselsheim gebracht.

Fotos: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger

 


Veröffentlicht am: 22.03.2022

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