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Historie und Histörchen (101)

Wie Wolfsburg lernte, den Passat zu lieben



Zu dritt stürmten wir in die Hotelbar. Horst Backsmann, der Kommunikations-Vorstand der Wolfsburger war nicht zu übersehen. Der Kollege aus Hamburg stürmte auf ihn zu, wir beiden anderen Norddeutschen folgten.

Der Hamburger Kollege knallte eine „Bild“ auf den Tresen vor Backsmann. „Die haben schon einen Fahrbericht im Blatt“, empörte er sich und wollte dem Vorstand nicht glauben, was der dazu zu berichten hatte: „Der Glodschey hat den Passat nur in Wolfsburg auf der Verladerampe gefahren. Einmal vor, einmal zurück.“

Der Hamburger hatte sich laut genug empört, um ein Gruppe von Kollegen zu mobilisieren. Und alle stießen ins selbe Horn. „Dann können wir ja gleich alle wieder nach Hause fahren“. So war das damals noch: Privilegien von auflagenstarken oder Fachmedien waren verpönt, und die Presseabteilungen hielten sich an die Regeln, jedenfalls war das die allgemeine Überzeugung. Backsmann wollte den Branchenkonsens ungefährdet über den Abend bringen, und behauptete, das mit Glodschey sei nur eine Ausnahme gewesen. Aber im Herbst 1972 war die Versuchung wegen der damals noch großen Auflage des Hamburger Boulevardblatts einfach zu groß. Auf jeden Fall würde seine Presseabteilung in Zukunft vorsichtiger agieren.

Vielleicht waren die Erwartungen der Journalisten an das Wohlverhalten der eigenen Kollegen damals einfach noch zu blauäugig. Insgeheim verstanden wir außerdem die Motivation beider Seiten. Der Passat war eine Sensation. Bisher hatten wir uns in Wolfsburg mit Fotografen auf die Jagd legen müssen, um die minimalen Änderungen des nächsten Käfer-Jahrgangs festzuhalten. Oder wir mussten uns auf Erlkönig-Jäger wie Lehmann verlassen, nur um die neue Panorama-Windschutzscheibe ins Blatt heben zu können.

Der Zukauf des K 70 von NSU als ersten Fronttriebler mit Pontonkarosserie konnte daran wenig ändern. Es wurde als sichtbarer Beweis der eigenen Versäumnisse gemobbt. Schließlich hatten die Entwickler mit dem Volkswagen 412 das Käfer-Prinzip auf die Spitze getrieben.

Der K 70 blieb eine Episode, ein Ausrutscher, aber auch ein Vorreiter für das komplett neue Auto, das die Geschichte von Volkswagen bis heute prägt. Jetzt gab es ein komplett neues Auto, einen Volkswagen ohne Gleichen – aber mit einer ungewöhnlichen Vorgeschichte.

Auf die stießen wir schon bei den ersten Kilometern der Fahrvorstellung rund um den Schweizer Vierwaldstädter See. Auf der Beifahrerseite hatte ein Entwickler Platz genommen, derselbe, der wenige Jahre später als Vater des GTI gefeiert wurde. Beim ersten Druck auf dem Lenkstockhebel des Blinkers fiel auf: „Der klackt ja gar nicht!“ Der Blinker verrichtete seine Arbeit stumm. Die Reaktion vom Beifahrersitz klang verärgert: „Haben die in Ingolstadt das schon wieder weggelassen, ohne uns zu fragen.“

Natürlich wussten wir, dass der Passat eigentlich ein Audi 80 war – mit Schrägheck, in der Pressemappe „Fließheck“ genannt. Aber das Maß der Dominanz der Ingolstädter über die Wolfsburger überraschte doch. Dabei hätten wir gar nicht so überrascht sein dürfen. Hatten wir doch gern immer wieder mal gelästert, dass die 5000 Entwickler in dem neuen Gebäudekomplex der Forschung und Entwicklung nicht mehr als „Käfer“ zustanden brachten. Der Spott von der „Technischen Hochschule Wolfsburg“ war immer wieder mal laut geworden.

Nun also Frontantrieb statt Heckantrieb, Reihenmotor statt Boxer, Wasserkühlung statt Luftkühlung. Und schon in der schwächsten Motorisierung des 1,5-Liter-Vierzylinders 55 PS. Was für ein Erlebnis für einen, der daheim noch mit einem Jungredakteurs-Gehalt und 34-Käfer-PS auskommen musste. Dann gab es noch eine 75-PS-Version und den TS mit sagenhaften 85 PS – den Traumwagen der Mittelklasse.

Aus dem ersten Passat mit der Baureihenbezeichnung B1 wird die erfolgreichste Mittelklasse des Unternehmens. Lange Jahre war der Variant die Nummer 1, also die Kombiversion. Der große Laderaum genoss nicht nur bei Familienvätern und Handwerkern große Symapthie wegen des Ladevolumens. Es hatte sich außerdem herumgesprochen, dass der Kombi schneller fuhr als das eben nur scheinbar aerodynamisch bessere Fließheck-Modell. Länge läuft, lautet der passende Lehrsatz dazu. Böse Zungen behaupteten später, die Reling sei bei der nächsten Modellpflege nur deswegen auf das Dach des Passat Variant gekommen, um die Luftströmung so zu verschlechtern, dass die Limousine wieder schneller fuhr als der „Lastwagen“. (Peter Schwerdtmann/cen)

Foto: Auto-Medienportal.Net/Volkswagen

 


Veröffentlicht am: 18.02.2023

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