Jeep, ehedem amerikanischer Offroad-Spezialist und zu Chrysler gehörig, zählt inzwischen zu den 14 Bestandteilen des Stellantis-Konzerns, der Vereinigung von Fiat/Chrysler mit der französischen PSA-Gruppe.
Jetzt stellte Jeep mit dem Avenger im spanischen Malaga sein erstes voll batterieelektrisches Auto vor. Dessen Karosserie trägt zwar unverkennbar Merkmale früherer Geländewagen des einstigen US-Unternehmens. Doch ansonsten fehlt ihm Einiges, was ihn zum echten Offroader in ehemaliger Jeep-Tradition machen würde. Allradantrieb zum Beispiel.
Der Urgroßvater des Neulings namens Willys Jeep steht perfekt restauriert im Museum „Haus der Geschichte“ in Bonn an prominenter Stelle. Schließlich hatte er als beliebtes Soldaten-Auto im Zweiten Weltkrieg maßgeblich zur Befreiung Deutschlands von der Nazi-Diktatur durch die Alliierten beigetragen. Sein 2,2 Liter großer Vierzylinder-Ottomotor leistete damals 60 PS (45 kW) und war bei einem Verbrauch von zwölf Liter Benzin auf 100 Kilometer und zuschaltbarem Allradantrieb für eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gut. Heute sind für perfekt erhaltene Oldies dieses Typs übrigens mindestens Beträge um die 50.000 Euro auf den Tisch zu blättern.
Da kommt der Avenger von heute in fast jeder Beziehung besser weg. Er kostet weit weniger, ist viel schneller und fast dreimal so stark. Dem Klima fällt er zumindest im Alltagsbetrieb kaum zur Last – wie viel CO2 bei der Produktion seiner Batterie sowie der Herstellung der Elektrizität für ihn anfällt, steht auf einem anderen Blatt. Und weniger militärisch sieht er auch aus. Nur statt alle vier werden bei ihm allerdings nur die Vorderräder angetrieben.
Der Avenger war noch gar nicht auf dem Markt, da hatte er bereits stattliche Preise eingeheimst. Auf der Paris Motor Show im Oktober 2022 erstmals vorgestellt, lobte der ADAC den Newcomer als „klein, vielseitig und praktisch“, „Auto Bild“ zeigte sich wegen seiner „üppigen Serienausstattung“ begeistert. Wenig später siegte der Wagen im Januar 2023 auf der Brüssel Auto Show bei der Wahl zum Car of the Year, womit zum ersten Mal überhaupt ein Jeep die höchste Auszeichnung zum Auto des Jahres erhielt. Außerdem kürte ihn eine Jury aus 63 Journalistinnen aus 43 Ländern zum besten Familien-SUV bei den Women's World Car of the Year (WWCOTY) Awards 2023.
Zu ersten Probefahrten durfte Mitte April eine überschaubare Journalisten-Schar aus ganz Europa auf dem Parkplatz vor dem Flughafen im südspanischen Malaga antreten. Auf Anhieb fiel ins Auge, dass da ein leibhaftiger Jeep vor ihnen stand, wenn er auch mit knapp über vier Metern Länge den kürzesten aller Zeiten repräsentierte. Unverkennbar die Frontpartie mit den sieben charakteristischen Lüftungsschlitzen, die betont ausgeprägten Kotflügel, die kurzen Überhänge vorne wie hinten und die bemerkenswert große Bodenfreiheit. All das sprach für ein robustes Fahrzeug, ebenso durchsetzungsfähig auf wie neben der Straße.
Dabei war es den Designern gelungen, einen von außen kompakt und klein erscheinenden SUV so zu konstruieren, dass er im Gegensatz dazu innen mit passablen Maßen aufwarten kann. Wenn es auch auf den hinteren Plätzen etwas eng zugeht, haben die Menschen vorne so viel Platz, dass sie sich nicht in die Quere kommen und selbst längere Reisen ohne nennenswerte Ermüdungserscheinungen meistern können. Das Gestühl ist bequem und bietet selbst bei ausgesprochen forsch gefahrenen Kurven ausreichenden Seitenhalt.
Was den Stauraum im Inneren angeht ist der Kleine ganz groß. Insgesamt 34 Liter Platz bieten eine Reihe geräumiger Fächer, so dass im „Avenger der Inhalt eines ganzen Handgepäck-Trolleys unterzubringen“ ist, wie stolz in einer Pressemitteilung steht. „Die Konsole auf dem zentralen Tunnel ist flexibel und modular aufgebaut und kann je nach Größe der Gegenstände verschoben oder sogar entfernt werden, um Platz für noch größere Gegenstände zu schaffen. Ein weiterer nützlicher Raum befindet sich unterhalb der Tasten für die Antriebssteuerung und ist durch eine klappbare Magnetabdeckung geschützt. Hier kann ein Mobiltelefon aufgeladen und gleichzeitig eine 1,5-Liter-Wasserflasche untergebracht werden“, heißt es.
Auch die Kofferraumgröße reicht für Reisegepäck, wobei sich die Heckklappe sozusagen mit einem Fußtritt elektrisch öffnen lässt. „Kick-Funktion“ heißt so etwas in der Marketing-Sprache – ein gehobener Fuß unter die Stoßstange reicht, und der Kofferraumdeckel gehorcht wie der Höhleneingang auf Ali Babas Befehl „Sesam öffne dich“.
Für erste Probefahrten hatten die Organisatoren einen 60 Kilometer langen Kurs rund um Malaga vorgeschlagen, vorbei an den für Andalusien typischen weißen Dörfern wie Alhaurin de la Torre oder Valtocado. Die zumeist engen und äußerst kurvenreichen Sträßchen stellten an Fahrerin oder Fahrer ebenso hohe Ansprüche wie an Fahrwerk, Federung und Lenkung. Nichts zu meckern gab es in punkto Leistung oder Beschleunigung. Wie bei Elektroautos üblich stand die gesamte Kraft des Aggregats aus dem Stand heraus voll zur Verfügung, außer Wind- und Reifengeräuschen war kaum etwas zu hören.
Auch die Lenkung funktionierte so wie es sich gehört, gehorchte buchstäblich auf den kleinen Finger und gab dem Menschen am Lenkrad stets das richtige Gefühl für den Untergrund. Selbstverständlich auch, dass sich sämtliche Tasten und Schalter dort befinden, wo sie hingehören und leicht bedienbar sind. Vorteilhaft auch das Infotainment-System mit seinem 26 Zentimeter großen Display in Kombination mit dem digitalen Kombiinstrument hinter dem Lenkrad.
Weniger komfortabel reagierten Fahrwerk und Federung des Wagens auf Schlaglöcher und abrupte Bodenwellen, wie sie häufig an spanischen Ortseingängen anzutreffen waren, um Raser rechtzeitig zu vernünftiger Fahrweise zu bringen. Dann war regelmäßig ein kräftiger Tritt ins Hinterteil zu spüren, was wohl auch an der Kürze des Wägelchens lag. Diese wiederum ist für den geringen Wendekreis von nur zehneinhalb Metern positiv verantwortlich.
Zwar gab es auch einige kurze Schotterstrecken zu bewältigen, echte Geländefahrten jedoch blieben den Journalistinnen und Journalisten vorenthalten. Das war auch gut so, denn vorerst verfügt der Jeep Avenger lediglich über Vorderradantrieb, erst im nächsten Jahr soll eine Allradversion mit zwei Elektromotoren erhältlich sein. Als Ausgleich bietet er zurzeit einen Bergabfahr-Assistenten sowie sechs unterschiedliche Fahrmodi: „Normal" für alltägliche Fahrten, „Eco" zur Erhöhung der Reichweite, „Sport" für mehr Spaß, „Snow" für maximale Traktion bei Eis und Schnee, „Mud" zur Optimierung der Leistung im Schlamm und zur Verbesserung der Bodenhaftung und „Sand" zur Begrenzung des Risikos, auf sandigem Boden stecken zu bleiben.
Über Reichweite und Ladezeiten war bei der kurzen Probefahrt naturgemäß kaum etwas in Erfahrung zu bringen. Echte Werte lassen sich nur durch spätere ausgiebige Testfahrten ermitteln. Zumindest aber weisen die Werksangaben von Jeep eine gute Papierform auf: 340 Kilometer Reichweite nach WLTP (was im richtigen Leben kaum zu erreichen sein dürfte) und angesichts einer Ladeleistung von bis zu 100 kW Gleichstrom für einen Kleinwagen erstaunlich kurze Ladezeiten an der Säule. Angeblich reichen für eine Fahrstrecke von 30 Kilometern zum Beispiel drei Minuten Ladezeit, in 24 Minuten ist die Batterie von 20 auf 80 Prozent geladen.
Die serienmäßige Ausstattung kann sich je nach Variante in punkto Sicherheit und Entlastung von Fahrerin oder Fahrer durchaus sehen lassen, selbst autonomes Fahren auf Level zwei ist drin. Damit bleibt der Avenger bei adaptiver Cruise Control mit Spurhalte-Assistent selbstständig in der Mitte der Fahrbahn und in einem sicheren Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug. Außerdem sorgt ein Stauassistent bei dichtem Verkehr für komfortables Vorwärtskommen. Weitere Annehmlichkeiten sind eine Verkehrszeichenerkennung, eine automatische Notbremsung mit Fußgänger- und Radfahrererkennung, eine Müdigkeitswarnung und vieles mehr.
Bestellbar ist der neue Jeep in den vier Ausstattungsvarianten Avenger als Basis, Longitude mit verbesserten Stilelementen, größeren Rädern und in der Höhe verstellbaren Kofferraumboden, Altitude mit zusätzlicher Serienausstattung und als Spitzenmodell Summit. Bei der Vorstellung in Malaga sagte Eric Laforge, Leiter der Marke Jeep in Europa: „Der Avenger ist die richtige Wahl für alle, die ein kompaktes, robustes und cooles Auto suchen, das modernste Technologie, Platz und Komfort bietet und gleichzeitig Spaß macht.“ Stolz wies der Manager darauf hin, dass sich zwischen Anfang Dezember vergangenen Jahres bis Ende Januar 2023 bereits 20.000 Kunden für das Einführungsmodell First Edition entschieden hatten. Zu vermuten ist allerdings, dass der Wagen trotz seiner Offroad-Erscheinung in erster Linie im Stadtverkehr eine Rolle spielen wird.
Obwohl der Jeep Avenger das erste Elektroauto der Marke ist, wird er in den USA nicht auf den Markt kommen. Trotz aller amerikanischer Gene – er wurde in Turin konstruiert, verfügt über Elektrotechnik von Stellantis und rollt im polnischen Tychy vom Band. Und in Italien, Polen sowie in Italien gibt es ihn sogar mit klassischem Benzin-Verbrennungsmotor.
Im Werk Tychy dauert laut Jeep der gesamte Produktionszyklus, bei dem aus Blechrollen ein fertiger Avenger entsteht, etwa zwölf Stunden, theoretisch läuft auf diese Weise alle 50 Sekunden ein Auto vom Band. Zu Zeiten der höchsten Produktion seines Urahns Willys Jeep wurde alle zwei Minuten ein Exemplar von ihm fertiggestellt. Nicht schlecht für die Zeit der 1940er Jahre. (cen/Hans-Robert Richarz)
Foto: Autoren-Union Mobilität/Jeep
Willys elektrisierender Enkel
... heißt Jeep Avenger
Veröffentlicht am: 30.04.2023
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