Schüchterne  sollten einen großen Bogen um den BMW CE 04 machen: Der extravagante  Maxiscooter zieht alle Blicke auf sich – selbst in einer Weltstadt wie  Barcelona. 
An der Ampel, vorm Restaurant, an der Hafenpromenade:  Der neue E-Kraftroller ist ein Aufmerksamkeits-Erhascher und  Smartphone-Hero. Bei unserer halbtägigen Tour wurde die Testflotte  garantiert auf Zigtausenden von Handyfotos verewigt.
BMW-Designchef  Edgar Heinrich überrascht der „Wow“-Effekt nicht. Die kühne Form des  Großrollers – 2017 als BMW Concept Link erstmals vorgestellt – sorgte  auch hausintern für Diskussionen, klingt bei der Fahrpräsentation durch.  „So viel Design-Freiraum, wie heute die Elektromobilität bietet, hatten  wir die letzten 50, 60 Jahre nicht. Durch den Wegfall der  Verbrennungstechnik ist jetzt ganz viel möglich. Das kann man mögen oder  auch nicht, aber das ist jetzt so." Bedeutet: Traditionelle Formen und  Funktionen haben sich überlebt. Man muss sich nur trauen. Und das tun  die Bayern.
Eine sehr flache, scheinbar schwebende Sitzbank, ein  seitlich aufklappendes Staufach, ein freistehendes Hinterrad, kein  Durchstieg hinterm Beinschild – der CE 04 bricht mit nahezu allen  gesetzten Roller-Statuten. Der Radstand misst üppige 1675 Millimeter –  das sind stolze 30 Zentimeter mehr als bei der Vespa GT 300 und gut acht  Zentimeter mehr als beim Vorgänger BMW C Evolution. Flach, lang und  schmal steht der CE 04 auf der Straße. Abgefahren und gänzlich anders  als der Wettbewerb – den er genau genommen gar nicht hat: Noch ist BMW  nach wie vor der einzige Hersteller mit einem elektrischen Maxiscooter.  Yamaha will das demnächst ändern.
Zum  Auf- und Absteigen schwingt man das Bein über die bügelbrettartige,  ausreichend komfortable Sitzbank. Sechs Varianten stehen zur Auswahl,  eine hat auf Wunsch Sitzheizung. Gestartet wird per Keyless-System; der  Fahrzeugschlüssel kann in der Jackentasche bleiben. Oder im gekühlten  (!) Handyfach links unterm Lenker; auf der rechten Seite versteckt sich  das Ladefach für den Typ-2-Stecker. Auf Tastendruck erwacht das  Splitscreen-fähige TFT-Display zum Leben. 10,25 Zoll misst es in der  Diagonalen. Rechts kann man sich die Routenführung anzeigen lassen oder  allerlei Fahrtinfos, links Geschwindigkeit und Energiefluss. Beides geht  auch vollflächig. Für konstante Vernetzung und Ladesäuleninfos sorgt  die BMW Motorrad Connected App. Zentrales Bedienelement ist der bewährte  Multi-Controller links am Lenker. Drehen und drücken führt durchs Menü.  BMW-Fahrer kennen das. Neukunden werden wenig Mühe haben, das  Funktionsprinzip zu begreifen.
In 2,6 Sekunden auf Tempo 50
Zum  Starten muss der linke Handbremshebel gezogen werden. Nur dann sorgt  der Startschieber rechts dafür, dass im Display grün das Zauberwort  „Ready“ aufleuchtet. Es kann losgehen. Und wie! Kein Kuppeln, kein  Schalten, einfach ab durch die Mitte mit sanftem Riemenantrieb und  leichtem E-Motor-Fiepen. 2,6 Sekunden von null auf 50 km/h, 9,1 Sekunden  von null auf 100 km/h, 120 km/h Spitze. Die Fahrleistungen sind knackig  für ein urbanes Vehikel. Vor allem im aufpreispflichtigen  „Dynamic“-Modus katapultiert einen der BMW CE 04 durch Zeit und Raum,  dass einem ständig ein „Huuiii“ über die Lippen kommt. Das Ganze  geschieht nahezu lautlos. Man fühlt sich wie ein Jedi-Ritter, der die  Druiden austanzt. Muntere Spurwechsel und Fahrten zwischen Autos – im  Süden voll normal – mag der schmale CE 04 sehr. Der lange Radstand macht  ihn zum handlichen Gleiter.
Drei Modi gibt es wie die  Schlupfkontrolle ASC serienmäßig: Rain, Road und Eco. Letzterer  rekuperiert wie der Dynamic-Modus besonders stark. Bremsen ist hier  nahezu überflüssig. E-Autofahrer kennen das als One-Pedal-Driving. Je  nach Modus variiert die Reichweite. Nach rund 65 beherzt gefahrenen  Testkilometern – vornehmlich im Dynamic-Modus – bot unser CE 04 noch 54  Kilometer Restreichweite. Wer viel nachts fährt, sollte über das  Dynamik-Paket (380 Euro) nachdenken: Es beinhaltet neben dem vierten  Fahrmodus adaptives Kurvenlicht, Kurven-ABS und ein spezielles  Tagfahrlicht. Heizgriffe stehen ebenfalls auf der Aufpreisliste (220  Euro). Dazu kommen wasserdichte Softbags, eine leidlich schmückende  Gepäckbrücke oder ein größeres Windschild. Ins nach rechts öffnende  Staufach passt wahlweise ein Jet- oder Visorhelm, für einen Integralhelm  ist die Öffnung zu klein.
Auch für die A1- und B196-Fahrerlaubnis
Die  Sitzposition ist Maxiroller-typisch variabel: ausgestreckte Haxen,  lässig anhocken – geht beides dank der langen Trittbretter und der  unterschiedlich behöckerten Sitzbänke. Beim Rangieren hilft ein  Rückwärtsgang. Alternativ zur offenen Version mit maximal 31 kW (42 PS)  gibt es den CE 04 auch als leistungsreduzierten L3e-Leichtkraftroller  mit 11 kW (15 PS) Nenndauerleistung. De facto schafft die A1-Variante  deutlich mehr. Hintergrund: Der Gesetzgeber erlaubt 0,1 kW pro 10  Kilogramm Fahrzeuggewicht. Das ergibt im Falle des fahrfertig 231 Kilo  schweren BMW CE 04 stolze 23 kW (31 PS).
A1-Führerscheinneulinge  und B196-Umsteiger bekommen also reichlich was geboten. Die  Höchstgeschwindigkeit ist identisch. Der Spurt auf 50 km/h dauert eine  nicht spürbare Zehntelsekunde länger. Lediglich die Reichweite sinkt von  130 auf 100 Kilometer. „Das reicht dicke im urbanen Umfeld“, versichert  BMWs Motorradchef Markus Schramm. „Unsere Erfahrungen mit dem C  Evolution zeigen: Mehr fahren die Kunden an einem Tag nicht.“ Meist sei  es sogar erheblich weniger.
Der  flache Hochvoltspeicher aus BMW-eigener Fertigung befindet sich analog  zu den meisten Elektroautos unten im Fahrzeugboden. Der tiefe  Schwerpunkt zahlt aufs Handling ein. Das integrierte Ladegerät, die  Reglereinheit und der E-Motor sitzen direkt übereinander. Unten mündet  der E-Technikturm zwischen dem Antriebsakku und dem hinteren  15-Zoll-Scheibenrad; oben markiert er das Ende des Freiraums unter der  Sitzbank. Montiert wird der CE 04 komplett im Motorrad-Stammwerk in  Berlin-Spandau.
Vier Stunden und 20 Minuten dauert das  vollständige Aufladen an einer herkömmlichen Haushaltssteckdose (10A).  Dreieinhalb Stunden sind es von null auf 80 Prozent. Bei 30 Amper  Ladestrom sinkt die Dauer auf 1 Stunde und 40 Minuten beziehungsweise  eine Stunde fünf Minuten. Kommt das optionale Schnellladegerät (850  Euro, Mode 3) mit 6,9 kW statt 2,3 KW Ladeleistung ins Spiel, dauert es  von 20 auf 80 Prozent knapp 50 Minuten.
Im Frühjahr soll der CE  04 zu den BMW-Händlern stromern. Bei 11 990 Euro geht es los. Der  Vorgänger war gut 3000 Euro teurer. Und wog 44 Kilogramm mehr. Die  Elektromobilität macht Fortschritte. 
Foto: Autoren-Union Mobilität/BMW/Markus Jahn
Der „Wow“- und der „Huuiii“-Effekt
... beim Test des BMW CE 04
Veröffentlicht am: 24.01.2022
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