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Thermofenster – darum geht es wirklich

Interview mit Thomas Koch



Diese Woche hat der Europäische Gerichtshof im Kontext einer Klage am Verwaltungsgericht Schleswig ein Urteil veröffentlicht, wonach es neue Klagebefugnisse für die Deutsche Umwelthilfe gegen ältere Dieselfahrzeuge gibt, die ein so genanntes Thermofenster verwenden.

Diese Fahrzeuge emittieren beispielsweise bei fünf Grad Umgebungstemperatur mehr Stickoxidemissionen NOx als bei 20 Grad. Doch was bedeutet dieses Urteil in der Praxis?

Wir sprachen darüber mit Prof. Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er war gemeinsam mit Prof. Christian Beidl aus Darmstadt und Prof. Hermann Rottengruber aus Magdeburg Gutachter zum Thema „Thermofenster“; dieses Gutachten wurde vor nationalen Gerichten und auch dem EuGH genutzt.

Professor Koch, können Sie kurz erläutern, was ein Thermofenster ist?
Professor Koch:
Fast alle alten Dieselfahrzeuge aller Hersteller, insbesondere der Emissionsstufe Euro 5, verfügen über temperaturabhängige Emissionsregelsysteme, wofür der Begriff Thermofenster geschaffen wurde. Ohne diese Thermofenster würde bei dem damaligen Technologiestand zum Beispiel die Gefahr eines unkontrollierten Partikelfilterverhaltens mit der Gefahr bis hin zum Fahrzeugbrand drohen oder es könnte aufgrund zu großer Wassermengen im Ansaugsystem bei einem Überholvorgang ein plötzlicher Fahrzeugstillstand resultieren. Es wäre also gefährlich, Fahrzeuge ohne Thermofenster zu fahren. Zudem wären die emissionsrelevanten Bauteile der Abgasrückführung – wohlgemerkt, bei diesem Technologiestand – nicht mehr verlässlich beherrschbar und würden unkontrolliert Schaden nehmen.

Was bedeutet es, dass jetzt gegen die Thermofenster geklagt werden darf?
Professor Koch:
Formal darf jetzt gegen die Genehmigung von Updates für ältere Dieselfahrzeuge, die ein Thermofenster nutzen, die also bei niedrigen Temperaturen mehr Stickoxide emittieren als bei höheren Temperaturen, geklagt werden. Neben der generellen Befugnis zur Klage ging es bei dem jetzigen Urteil aber auch noch einmal um die juristische Bewertung des Thermofensters. Hierbei orientiert sich der EuGH aber im Kern an seinem Urteil vom 14. Juli 2022. Das neue Urteil liest sich wie eine Zusammenfassung der alten Ausführungen vom Juli. Und damals wurde vom Gericht nachgeholt, was der Gesetzgeber einfach versäumt hatte, nämlich die Definition realistischer Grenzwerte.

Sind Thermofenster überhaupt erlaubt?
Professor Koch:
Ob ein konkretes Thermofenster zulässig ist, wird nicht auf europäischer, sondern auf nationaler Ebene entscheiden. Und die Rechtsprechung von mehreren Senaten des Bundesgerichtshofes, also des höchsten Zivilgerichts in Deutschland, ist eindeutig und einheitlich: Thermofenster an sich stellen keine sittenwidrige Schädigungshandlung dar. Auch aus Sicht des Kraftfahrt-Bundesamtes dienen Thermofenster typischerweise der Vermeidung von plötzlichen und außergewöhnlichen Motorschäden und sind regulatorisch zulässig. So hat sich das KBA immer wieder, zuletzt im Juli, geäußert. Es würde mich wundern, wenn angesichts dieser eindeutigen höchstrichterlichen Bewertung nun generell eine erfolgreiche Klage gegen Thermofenster geführt werden kann. Modernste Dieselmotoren erfüllen mindestens bis minus sieben Grad und auch darunter strengste Emissionsvorschriften, die Softwareupdates von älteren Euro-5-Dieseln ermöglichen immerhin bis ca zehn Grad celsius geringstmögliche NOx-Emissionen. Dies erfüllt die Anforderungen des EuGH an diese Technologiestufe.

Wie passt das zur Verfolgung des Dieselskandals?
Professor Koch:
Hier muss man die Themen strikt trennen. Die ursprünglich im Volkswagen-Konzern angewandte Prüfstanderkennung, die in der Realität andere Softwarefunktionen aktiviert als auf dem Prüfstand, also diese so genannte Umschaltlogik, war zu keinem Zeitpunkt erlaubt. Und dies musste Volkswagen durch Software-Updates, die intensiv durch das KBA geprüft wurden, überarbeiten. Dieser Schritt war unabdingbar. Das Thermofenster ist aber etwas ganz anderes. Diese Prüfstandserkennung mit Umschaltlogik hat nichts mit einem Thermofenster zu tun. Das Thermofenster bildet physikalisch-chemische Prozesse und Notwendigkeiten ab.

Und bei der Ausgestaltung dieser Thermofenster sind die Hersteller frei?
Professor Koch:
Tatsächlich war es den relevanten Personen und Institutionen und vor allem den relevanten Gremien in Brüssel, die am Gesetzgebungsprozess für Euro 5 in den 2000er-Jahren beteiligt waren, bekannt, dass in der Realität die gewünschten Emissionen nicht eingehalten werden können. Und dazu existieren zahlreiche Dokumente, Messungen und Stellungnahmen. Weil es aber kompliziert war, hat der Gesetzgeber damals das Realverhalten nicht konkret geregelt. Das empfinde ich weiterhin als Skandal. Während der Ottomotor schon damals bis zu minus sieben Grad Celsius die Emissionen einhalten musste, gab es eine solche Temperaturgrenze für Dieselmotoren in der Verordnung 715/2007 eben nicht. Der Gesetzgeber hatte also gesehen und ganz bewusst anerkannt, dass Dieselfahrzeuge bei niedrigen Temperaturen zwangsläufig die Abgasrückführung reduzieren müssen und es deshalb zu höheren Emissionen kommt. Selbst Chip-Tuner mussten ausschließlich bei höheren Temperaturen ihre Emissionen nachweisen!

Und das ist heute anders?
Professor Koch:
Genau. Das Partikel- und Stickoxid-Problem ist über ein breites Temperaturband gelöst, die modernste Diesel-Technologie liefert seit Jahren keinen relevanten Beitrag zur Stadtimmission. Das ist auch das Ergebnis einer neuen Gesetzgebung, an der in Brüssel intensiv gearbeitet wurde, die 2017 eingeführt wurde und mit der weltweit ein neuer Maßstab gesetzt werden konnte. Gesetzgebung und Technologie gingen dabei Hand in Hand. Das war früher anders, vor allem bei kalten Außentemperaturen, und das war dem Gesetzgeber schon damals bekannt und ist vielfach dokumentiert.

Wie sollte jetzt mit der Situation umgegangen werden?
Professor Koch:
Es handelt sich um ein reines Altlastenthema, und gerade die Software-Updates, die jetzt angegriffen werden, machen diese alten Fahrzeuge deutlich sauberer. Im Moment sind alle blamiert: Die Fahrzeughersteller mit teilweise minimalistisch ausgeführten NOx-Emissionsstrategien, die Gesetzgebung durch unbefriedigende Abbildung der Komplexität, aber auch die Umweltverbände, die vieles fordern, aber nicht berücksichtigen, was in einer Großserie unter anspruchsvollen Entwicklungszeitleisten wirklich umsetzbar ist. Das Thema sollte zu einem Abschluss kommen. (Jens Meiners, cen)

Foto: Autoren-Union Mobilität/KIT (Archivbild)

 


Veröffentlicht am: 11.11.2022

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