Vor dem Anwesen des Duke of Richmond im südenglischen Goodwood wird Geburtstag gefeiert: MG wird 100 Jahre alt, und hatte sich vergangene Woche beim Festival of Speed ein weithin sichtbares Denkmal gesetzt. In einer Stahlskulptur schweben zwei Autos dem Himmel entgegen – das erfolgreichste Modell der Vergangenheit, der MGB, und das der Zukunft, der Cyberster. Die Marke mit den beiden Buchstaben im Achteck gehört zu den Unsterblichen der Autoindustrie. Oft totgesagt, erlebt sie derzeit einen kometenhaften Wiederaufstieg.
1924 hatte Cecil Kimber, Geschäftsführer der Morris Garage in Oxford damit begonnen, Autos zu „tunen“, wie man heute sagen würde. Aus braven Allerweltsmodellen der Marke Morris wurden so sportliche, offene Autos für den „Gentleman Driver“. Der MG 14/28 von 1924 war auf Anhieb so erfolgreich, dass weitere Autos folgten.
Mit dem Tuning hielt sich Cecil Kimber nicht lange auf. Die erste eigene Konstruktion auf dem Fahrgestell war der MG M-Type. Der kleine Motor stammte vom Morris Minor, dem britischen Volkswagen. Der winzige Roadster wog nur 500 Kilogramm und kam deshalb mit 30 PS aus. Der Königswellenmotor, ursprünglich als Flugzeugantrieb konstruiert, entpuppte sich aber als ideale Basis für weitere Leistungssteigerung. Bei der Maschine waren Kurbelwelle und oben liegende Nockenwelle mit einer so genannten Königswelle verbunden, was hohe Drehzahlen ermöglicht.
Als erster MG hatte der M-Type den charakteristischen Chrom-Kühler, der bis in der 70er-Jahre zum Markenzeichen aller MG wurde. Mit diesem Modell startete MG erfolgreich im Rennsport, wo der nur 0,85 Liter kleine Vierzylinder erstaunliche Erfolge erzielte. Weitere erfolgreiche Renn- und Sportwagen folgten.
„Win on Sunday, sell on Monday“, war in den goldenen Zeiten des Motorsports ein gern genutztes Marketing-Instrument. Wer auf der Rennstrecke siegt, kann auch die Herzen der sportlichen Kundschaft gewinnen. Das fiel den MG schon deshalb leicht, weil sie für einen Sportwagen stets erschwinglich waren. Zum Preis eines Bentley bekam man zehn MG. Dabei waren die kleinen Roadster den großen Bentley auf der Rennstrecke durchaus gewachsen.
Doch den kommerziellen Durchbruch brachte der Zweite Weltkrieg. Amerikanische GIs sahen die kleinen MG in England und waren begeistert. Die T-Modelle, immer noch im Stil der 30er-Jahre mit Trittbrettern, geschwungenen Kotflügeln und weit ausgeschnittene Türen, eroberten als erste europäische Sportwagen die neue Welt. Bis in die 70er Jahre hielt die Beliebtheit an. Der MG B, von 1962 bis 1980, wurde zum meist gebauten Sportwagen seiner Zeit, was vor allem am Verkaufserfolg in den USA lag.
Während andere Hersteller dem Cabrio abschworen, sogar Porsche nur einen halboffenen Targa auf den Markt brachte, blieb MG der Roadster-Linie treu. Doch die Krise der britischen Automobilindustrie ging auch an MG nicht spurlos vorbei.
Anfang der Siebziger gehörte die Marke mittlerweile zum chronisch kranken British-Leyland-Konglomerat. BL, auch Britisch Elend genannt, musste zur Rettung verstaatlicht werden. Ende des Jahrzehnts fiel dann ausgerechnet MG der nötigen Schrumpfkur zum Opfer. Der MG B wurde eingestellt, das Werk geschlossen. Proteste amerikanischer Autohändler und Fans in aller Welt, die sogar eine Demo in London organisierten, nutzten nichts. Das Achteck wurde nur noch genutzt, um die sportlichen Varianten automobiler englischer Hausmannskost aufzuhübschen.
Doch MG hat viele Turbulenzen überlebt. Alles in allem hat die Marke in den vergangenen 100 Jahren achtmal den Besitzer gewechselt. Einer davon war BMW. 1994 bis 2000 gehörte MG zusammen mit Rover den Bayern. In der Zeit kam der MG F heraus, ein kleiner Mittelmotor-Sportwagen, der an die große Roadster-Tradition der Marke anknüpfte. Von BMW wurde der flotte Zweisitzer eher argwöhnisch betrachtet: Hatte man mit dem BMW Z3 nicht den besseren Roadster im Programm? Möglich, aber der war auch deutlich teurer.
Nach der Scheidung von BMW und der Pleite des neuen Besitzers kam MG 2005 in die Hände des chinesischen Autoherstellers Nanjing. Der wiederum wurde ein Jahr später von SAIC, einem der größten Hersteller in China, übernommen. Seither geht es mit der Marke wieder bergauf. Mehr als eine Million Autos verkauft MG unter dem Management von SAIC aktuell pro Jahr, so viele wie nie zuvor. Derzeit werden die Autos zumeist in Schanghai gebaut, doch ein Werk in Europa ist in Planung.
Erfolgreichstes Modell in Deutschland ist der vollelektrische MG 4, den es auch als X-Power gibt, lackiert in der Farbe des Rekordwagens MG EX 181. Mit dem hatte Stirling Moss 1957 auf 394 Stundenkilometer beschleunigt. Eine Reminiszenz an diesen Geschwindigkeitsrekord ist das Konzeptfahrzeug EXE 181, das in Goodwood vorgestellt wurde.
Während sich andere Hersteller aus China in Europa schwer tun, setzt SAIC erfolgreich auch auf die Bekanntheit der Marke. Deren Name kommt Europäern leichter über die Lippen als die der vielen Newcomer aus dem Reich der Mitte wie BYD, Nio, Ora oder Xpeng. MG ist die erfolgreichste Importmarke aus China.
Dabei spielt die englische Herkunft der Marke nach wie vor eine Rolle: Das Designstudio von MG liegt in London, ein Teil der Entwicklung läuft in Birmingham, der alten Herzkammer der britischen Automobilindustrie. Und auch bei der Modellpolitik besinnt sich MG seiner Tradition. Nach dem durchaus sportlichen Kleinwagen MG 3 kommt in diesem Jahr der Cyberster nach Deutschland, ein Roadster ganz in der Tradition der Marke. Und wie den Urahn MGB wird es ihn auch als Coupé geben. Nur eben elektrisch, denn auch eine Traditionsmarke muss mit der Zeit gehen. (cen)
Fotos: Autoren-Union Mobilität/Reinking/MG/MG Motor
MG – nach 100 Jahren zurück in die Zukunft
Tusch, Feuerwerk, Applaus
Veröffentlicht am: 23.07.2024
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