
Hermann Gerlinger, einer der wichtigsten Kenner und Sammler des Brücke-Expressionismus, übergibt den Kunstsammlungen Chemnitz 42 Werke. Mit Arbeiten von Schmidt-Rottluff, Heckel und Kirchner bereichert die Schenkung nicht nur den Bestand, sondern betont die Bedeutung von Chemnitz als Stadt des Expressionismus.
Im Laufe der letzten beiden Jahre schenkte Hermann Gerlinger, einer der bedeutendsten Brücke-Sammler, den Kunstsammlungen Chemnitz ein wertvolles Konvolut an Werken der drei Begründer der Brücke: Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner. Die Schenkung umfasst 42 Werke und bildet die gesamte technische Bandbreite von Ölgemälden über Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken zu Plastiken ab. Ab dem 18. Oktober wird die Schenkung in den Kunstsammlungen am Theaterplatz präsentiert. Es erscheint zudem eine Publikation im Sandstein Verlag.
Der Würzburger Unternehmer Professor Hermann Gerlinger begann in den 1950er Jahren, seine Sammlung aufzubauen. Ausgehend von der Melancholie von Karl Schmidt-Rottluff, die er als erstes Werk erwarb, wuchs seine Sammlung zu einer der hochkarätigsten, qualitätsvollsten Kollektionen der Brücke-Künstler mit über 1.000 Werken. Die Privatsammlung spiegelt die Leidenschaft für den Brücke-Expressionismus, welcher geprägt war von einem vereinenden Zeitgeist als auch vom Individualismus der jeweiligen Künstler. Sie fokussiert dabei nicht nur auf den Beginn und Höhepunkt der Brücke, sondern inkludiert ebenfalls frühe Arbeiten von Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Bleyl, ebenso wie Arbeiten aus dem Spätwerk. Auch temporär zur Brücke assoziierte Mitglieder wie Emil Nolde, Max Pechstein oder Cuno Amiet fanden Eingang in die Sammlung. Seit 2022 löst Hermann Gerlinger seine Sammlung sukzessive auf; einzelne Positionen schenkte er ausgewählten Museen. Zu ihnen zählen die Kunstsammlungen Chemnitz.
Die Kunstsammlungen Chemnitz besitzen einen der größten Bestände an Werken von Karl Schmidt-Rottluff. Das am 6. April eröffnete Karl Schmidt-Rottluff Haus bietet fortan die Gelegenheit, ausgewählte Aspekte seines künstlerischen Schaffens und seiner biografischen Verbundenheit mit Chemnitz dauerhaft zu zeigen. Ein Teil der Schenkung von Hermann Gerlinger gilt explizit dem neu ein gerichteten Karl Schmidt-Rottluff Haus. Zu diesen Werken zählen u.a. eine sehr frühe, in Bleistift gezeichnete Naturstudie mit Busch an Gewässer (um 1899), anfängliche Aquarelle, wie Stadttor mit Passanten (1901) und Bach unter Bäumen mit Steg (1901), sowie frühe Druckgrafiken wie Die Kirche (um 1904) oder Schlafender Junge (1905). Mit diesem Teil der Schenkung hebt der Privatsammler das frühe Schaffen von Karl Schmidt-Rottluff an seinem Geburtsort hervor. Die Werke werden, nach der ersten Präsentation am Theaterplatz, künftig das Karl Schmidt Rottluff Haus bereichern.
Von Ernst Ludwig Kirchner schenkt Hermann Gerlinger den Kunstsammlungen Chemnitz die Lithografie-Reihe Bilder zu Sakuntala. Drama in sieben Akten von Kalidasa (1907) sowie die Bleistiftzeichnung Emmy Frisch und Karl Schmidt-Rottluff (1908), ein frühes Zeugnis für die enge Verbindung von Emy und Karl Schmidt-Rottluff, welche 1919 heiraten werden. Zur Schenkung zählen ebenfalls wichtige Werke von Erich Heckel. Die Holzschnitt-Reihe Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading (1907) gilt als die einzige Umsetzung eines literarischen Werkes im Œuvre von Heckel. Mit dem Holzschnitt Madonna von Ostende (1916) zieht ein wesentliches Motiv und ein wichtiges Werk von Heckel während des Ersten Weltkriegs, wo er als Sanitäter in Belgien diente, in den Bestand der Kunstsammlungen Chemnitz ein. Ein besonderes Highlight der Schenkung bildet ebenfalls das Gemälde Zwei Männer (1919), welches im selben Jahr entstand als das sich einst im Bestand der Kunstsammlungen Chemnitz befindende Triptychon Badende. In der NS-Zeit beschlagnahmt, konnte nur die rechte Tafel (BadendeII) 1995 wiedererworben werden. Das Gemälde Zwei Männer schuf Heckel eben falls im Kontext seiner Aufenthalte in Osterholz; es stellt für die Kunstsammlungen Chemnitz in Bezug auf die eigne Sammlungsgeschichte eine große Bereicherung dar.
Den Höhepunkt der sehr großzügigen Schenkung von Hermann Gerlinger bildet das Gemälde Du und ich von Karl Schmidt-Rottluff. Es zeigt ein Doppelbildnis vom Maler und seiner Frau und ist 1919 im Jahr ihrer Hochzeit entstanden. Das Erleben des Ersten Weltkrieges führte bei Karl Schmidt-Rottluff zu einer Stiländerung, welche im Gemälde Du und ich angelegt ist; es deutet vereinfachte Formen und stärkere Kontouren an, welche ab 1920 die Werke prägen werden. Wie Karl Schmidt-Rottluff selbst, stammt auch seine Frau aus Chemnitz und ist biografisch mit der Stadt verbunden. Das Werk zeigt die große Verbundenheit von Karl Schmidt-Rottluff zu seiner Frau, aber auch die menschliche Nähe welche seine Porträts immer charakterisiert.
Mit der Unterstützung des Freundeskreises konnten vier weitere Werke von Karl Schmidt-Rottluff aus der Sammlung Gerlinger erworben werden. Hierzu zählen Liegender Rückenakt (1913), Mädchen vor dem Spiegel (1914), Selbstbildnis (1919) und Russische Landschaft mit Kreuzweg (1919). Ab dem 18. Oktober wird das Konvolut im Karl Schmidt-Rottluff Flügel der Kunstsammlungen am Theaterplatz präsentiert werden.
Florence Thurmes, Generaldirektorin Kunstsammlungen Chemnitz: »Die Schenkung stellt für die Kunstsammlungen Chemnitz ein großes Glück dar. Wir danken Herrn Prof. Gerlinger von Herzen für diese äußerst großzügige Geste. Solche Gesten sind außergewöhnlich, gerade wenn sie den eignen Bestand so bereichern und hervorheben. Im wahrsten Sinne des Wortes ist diese Schenkung ein Geschenk.«
Prof. Hermann Gerlinger: »Zu meiner großen Freude hat Frau Generaldirektorin Florence Thurmes das Blatt Blumen für Erich und Siddi von Karl als Motiv für die Einladungskarte gewählt. Das Werk habe ich kennengelernt, als es in der Heckel-Hausdiele ausgestellt war. Es hat mich von Anfang an fasziniert, war aber absolut unverkäuflich, da es einen sehr persönlichen Hintergrund hatte, den ich auch nachvollziehen kann. Erst nach Siddi’s Tod, als der Bestand allmählich aufgelöst wurde, konnte ich das Werk erwerben und freue mich es nun in Chemnitz zu wissen.«
Text von Prof. Hermann Gerlinger zum Werk Blumen für Erich und Siddi von Karl
Blumen für Erich und Siddi von Karl, 1960
Katalog-Nummer 296a,
Farbkreide über Tusche, 54,0 x 40,0 cm
Signiert r.u.: S-Rottluff
»Seit 1901/02 kannten sich die damaligen Schüler Karl Schmidt und Erich Heckel, obwohl sie verschiedene Gymnasien besuchten. Sie trafen sich im »Debattierclub Vulcan«, einem literarischen und kunstinteressierten Zirkel von Gymnasiasten aus Chemnitz. Dieses Freundespaar war eine Keimzelle der 1905 gegründeten Künstlergruppe Brücke. Während der Brücke-Zeit war die Verbindung von Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel von besonderer Tragweite. In diese freundschaftliche Beziehung der beiden Künstler wurden nach dem 1. Weltkrieg auch die Ehefrauen Emy und Siddi integriert. Sie fügten sich harmonisch in die Verbindung ihrer Ehemänner ein.
Nach dem 2. Weltkrieg hatten Karl und Emy Schmidt-Rottluff ihren Wohnsitz in Berlin, während Erich und Siddi Heckel in Hemmenhofen am Bodensee lebten. Der freundschaftlichen Verbindung zwischen den beiden Ehepaaren tat diese größere räumliche Trennung keinen Abbruch. Das vorliegende Blumen-Stillleben, ein Geschenk Schmidt-Rottluffs an Erich und Siddi Heckel aus dem Jahr 1960, belegt die Jahrzehnte lange Freundschaft.
Etwas ungewöhnlich ist mein Zugang zur Kunst der Brücke. Die Jugendjahre verlebte ich in Würzburg, einer zwar kunstsinnigen Stadt, die aber keineswegs von moderner, gar von avantgardistischer Kunst beeinflusst war. Bei meinem an schließenden Studium in München kam ich erstmals mit Werken der Brücke in Berührung. Von meinem schmalen Monatswechsel erwarb ich die ersten Blätter von Karl Schmidt-Rottluff, Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner. Literatur und Bestandskataloge waren damals äußerst selten, so dass mir auch Niemand über ein Schmidt-Rottluff-Blatt, das ich im Handel erworben hatte, etwas sagen konnte. Ich hatte die Kühnheit einen Brief an Schmidt-Rottluff zu schreiben und meine Fragen vorzubringen. Zu meiner größten Verwunderung bekam ich bald eine befriedigende Antwort. Dies war der Beginn einer folgenreichen Verbindung. Über Karl Schmidt-Rottluff lernte ich auch Herrn Prof. Leopold Reidemeister, den Direktor des Brücke-Museums, Berlin, kennen, der mich bei Frau Siddi Heckel einführte. Bei meinem ersten Besuch in Hemmenhofen sah ich in der Diele des Heckel-Hauses dieses Blumenstillleben an der Wand an exponierter Stelle. Fast 50 Jahre musste ich warten, bis das Werk seinen Platz bei mir fand. Noch eine Bemerkung zu diesem Werk: durch die schlimme Aktion »Entartete Kunst« wurde das Schaffen Schmidt-Rottluffs stark berührt: die strahlende Farbigkeit der mittleren Schaffensperiode verschwand weitgehend, auch wird in vielen Besprechungen, so vor allem in Ekstase, Rhythmus, Stille von Christiane Remm (Seite 26, 27), von der groben, zum Teil ruppigen Malweise gesprochen, auch über die oft störenden Unterbrechungen des Linienflusses von Konturen. Nichts von all dem Negativen ist bei diesem Blatt spürbar: Eine kraftvolle, ausgewogene Pinselzeichnung mit einer harmonischen intensiven Farbigkeit hat sich wieder eingestellt.«
Hermann Gerlinger, 2020
Kunstsammlungen Chemnitz
Kunstsammlungen am Theaterplatz
Museum Gunzenhauser
Schloßbergmuseum
Burg Rabenstein
Henry van de Velde Museum
Karl Schmidt-Rottluff Haus
Carlfriedrich Claus Archiv
Kunstsammlungen Chemnitz
Theaterplatz 1
09111 Chemnitz
T +49 (0)371 488 4474
F +49 (0)371 488 4494
www.kunstsammlungen-chemnitz.de
Bild: Karl Schmidt-Rottluff, Du und ich, 1919, Öl auf Leinwand, Kunstsammlungen Chemnitz, Schenkung Hermann Gerlinger
Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/Punctum/Bertram Kober © VG Bild-Kunst, Bonn 2025
SCHENKUNG HERMANN GERLINGER: KARL SCHMIDT-ROTTLUFF, ERICH HECKEL, ERNST LUDWIG KIRCHNER
Ein Privatsammler schreibt Chemnitzer Museumsgeschichte
Veröffentlicht am: 27.11.2025
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