Die  automobile Welt ist im Umbruch. Nicht nur in Sachen Elektromobilität  und autonomes Fahren, sondern auch bei der Bremsentechnik. Diese wird  sich schon bald maßgeblich verbessern. 
So hat Brembo ein neues  Bremssystem mit wesentlich kürzeren Reaktionszeiten entwickelt. Zehn  Jahre haben die Italiener daran gearbeitet. Sensify, so der Name, bietet  bei kompakterer Bauweise kürzere Bremswege und somit auch mehr  Sicherheit.
„Sensify ist kein reines Brake-by-Wire-System“,  betont Brembo-Chef Daniele Schillaci bei der Präsentation. Sensify ist  vielmehr eine Mischung aus beidem. Auf der Vorderachse arbeitet das  System elektrohydraulisch mit klassischer Bremsflüssigkeit, hinten lösen  dagegen elektromechanische Stellmotoren den Bremsvorgang aus. Auch das  neue System ist mit klassischen Bremsscheiben und Bremssätteln  ausgerüstet. Völlig neu sind hingegen die elektronischen Komponenten mit  zwei Steuergeräten, während das klassische mechanische Bremspedal durch  ein elektronisch angesteuertes Pedal (Aktuator) ersetzt wird.
Von  all den neuen Technologien bekommt der Fahrer wenig mit. Er tritt nach  wie vor auf ein Bremspedal. Jedoch misst bei Sensify ein Sensor den  Pedalweg und die Position des elektronischen Pedals und schickt diese  Informationen als Signalströme an die Steuereinheiten weiter. Eine  Elektronik mit künstlicher Intelligenz erfasst alle fahrrelevanten Daten  und wertet sie anhand von vorausschauenden Algorithmen aus.
Wird  der eigentliche Bremsvorgang eingeleitet, reagiert das System  blitzschnell und innerhalb von nur 100 Millisekunden. Eine weitere  Besonderheit: Anders als bei herkömmlichen Zwei-Kreis-Bremssystemen wird  die Bremskraft bei Sensify nicht diagonal, sondern für jedes Rad  einzeln und unabhängig voneinander verteilt. Dabei erkennt die Software,  wie stark der Fahrer auf das Pedal tritt und passt zugleich die Kraft  auf die Straßenverhältnisse an. So wird immer eine sichere Bremsung auch  bei Nässe oder Glätte gewähreistet. Um die erfassten Daten zu  verbessern, kann sich Sensify zudem selbständig Over-the-Air auf den  neuesten Stand aktualisieren.
Erster Serieneinsatz 2024
Brembo  ist stolz auf die neue Technologie. Angefangen bei der  Steuerungselektronik mit den Algorithmen bis hin zum OAT-Update, hat das  Unternehmen alles selbst entwickelt und umgesetzt. Eigentlich ist das  neue Bremssystem schon fertig und könnte sofort in Personenwagen oder  leichten Nutzfahrzeugen eingesetzt werden, doch ist erste Serieneinsatz  von Sensify in einem Auto erst für 2024 geplant. Um welchen  Automobilhersteller es sich dabei handelt, verschweigen die Italiener  allerdings. Brembo kann damit aus vertragrechtlichen Gründne noch nicht  an die Öffentlichkeit gehen. Geheimniskrämerei gehört halt auch zur  Geschäftspolitik eines Zulieferers.
Von der neuen Bremse wird  daher zuerst der nicht genannte Automobilhersteller profitieren. Fest  steht aber, dass die Bremsanlage nicht nur in Elektrofahrzeugen, sondern  auch in Autos mit Verbrennungsmotoren eingesetzt werden kann. Sie  liefert darüber hinaus einen technischen Grundstein für das autonome  Fahren.
Um uns einen ausgiebigen Eindruck zu verschaffen, konnten  wir Sensify vorab auf einer abgesperrten Rennstrecke ausprobieren. Als  Testwagen dienen mehrere Tesla Model 3. Die eine Hälfte war mit  konventioneller Bremstechnik ausgestattet, die andere mit dem neuen  System. Ob der amerikanische Elektro-Pionier der erste Serienkunde von  Sensify sein wird, lässt Brembo aber ebenfalls noch offen. Auf jeden  Fall waren die Tesla vollgestopft mit Messtechnik, die die Testfahrten  penibel erfasst und ausgewertet haben. Teilweise waren die  Testabschnitte künstlich bewässert. Außerdem stand ein nasses Skid-Pad  auf dem Programm, auf dem der Wagen wie auf Eis und Schnee fast ohne  Haftung wegkreiseln kann. Der eigentliche Rennkurs war dagegen  niederschlagsfrei und vollkommen trocken.
Auch in extremen Situationen gelassen
Die  Unterschiede zwischen einer herkömmlichen Bremse und Sensify waren  schon auf der ersten Runde spürbar. Im direkten Vergleich reagiert das  neue System schneller und hält das Fahrzeug sowohl auf trockener als  auch nasser Fahrbahn erstaunlich stabil in der Spur. Selbst auf dem  schlüpfrigen Schleuder-Pad bleibt das Auto beim Sensify-Bremsvorgang  ruhig und ist einfach beherrschbar, während das Auto mit klassischer  Bremse bei Nässe auszubrechen droht. Trotz ESP, wohlgemerkt. Bei höherem  Tempo auf der Rennstrecke hinterlässt Sensify ebenfalls einen positiven  Eindruck. Bei extremen Bremsungen in Kurven bleibt das Auto gelassen  und zieht nicht untersteuernd zum Außenrand hin, sondern bleibt stoisch  kontrollierbarer und sicher.
Doch ist eine Vollbremsung mit  Sensify zumindest anfangs ungewohnt. Bei herkömmlichen Fahrzeugen  pulsiert unter solchen Voraussetzungen normalerweise das Bremspedal,  weil das Antiblockiersystem am Limit arbeitet. Ein weiterer Hinweis ist  auch das begleitende Rattergeräusch, da eine gewöhnliche ABS-Bremse  immer wieder nach Gripp und Schlupf sucht, um das Blockieren der Räder  zu vermeiden. Beide Hinweise gibt es bei Sensify nicht mehr. Bei heiklen  Gefahrenbremsungen bleibt das Pedal vollkommen ruhig, fast schon zu  ruhig.
An die nicht vorhandene Geräuschkulisse muss man sich  ebenfalls zunächst noch gewöhnen. Das ist aber kein wirklicher Nachteil,  sondern eher eine lang antrainierte Kopfsache. Aber auch in diesem  Punkt bleiben die italienischen Entwickler so gelassen wie das System  selbst. Wenn es unsere Kunden ausdrücklich wünschen, können wir das  pulsierende Pedal auch problemlos über die Software simulieren, heißt es  aus der Brembo-Konzernzentrale.
Foto: Autoren-Union Mobilität/Brembo
In Zukunft wird anders gebremst
... meint man bei Brembo Sensify
Veröffentlicht am: 26.10.2021
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