Die Gemälde im Bestand des Museums wurden in den 25 Jahren nach seiner Gründung durch thematisch weit gespannte Sonderausstellungen allmählich dem Publikum vorgestellt. Zudem sind über 220 Bilder in der Ständigen Sammlung dauerhaft sichtbar – sofern sie nicht ausgeliehen sind.
Doch der Bestand an den aus Gründen der Lichtempfindlichkeit im Depot lagernden rund 5.000 Aquarelle, Zeichnungen, Skizzenbücher und Druckgraphiken war selbst dem fachkundigen Publikum weder bekannt noch war er in derselben Breite wie die Gemälde erschlossen. Im Jubiläumsjahr öffnet sich deshalb die Tür zu anderen Sparten der Kunst, etwa zur Illustration von Literatur, zu der herrliche Blätter von Moritz von Schwind und Ludwig Richter gehören, aber seit dem Biedermeier auch boshafte Satiren das Publikum überraschen. Diese neue Welt kann nun ebenfalls über eine thematische Erschließung „bereist“ werden. Die enorme Bandbreite der Kunst des 19. Jahrhunderts erschließt sich auf dieser Reise ganz nebenbei, ihre intellektuelle Tiefe ebenso wie ihre künstlerische Höhe.
„Vom Akt zur Karikatur“ – mit diesem Eindruck könnte man den Rundgang durch die Jubiläumsschau im Herbst 2025 beginnen und nach Durchschreiten von 12 Themenräumen abschließen. Wäre das zugleich die kuratorisch beabsichtigte Erkenntnis? Der Lauf durch die Kunst der Zeichnung ist doch wie das gesamte 19. Jahrhundert weitaus verschlungener, erhellender, vielschichtiger. Dass der Humor eine facettenreiche Rolle in einer politisch hochaufgeladenen Phase der deutschen Geschichte spielte – mal offensichtlich, mal immanent – ist auch für die gleichzeitige Kunst, die von Carl Spitzweg bis zu den Illustratoren der politisch frechen Satireblätter des Simplicissimus reicht, nicht von der Hand zu weisen. Einer der qualitativen Schwerpunkte der Sammlung liegt zweifellos in den berühmten Karikatur-Vorzeichnungen von Thomas Theodor Heine, Heinrich Zille und Olaf Gulbransson.
Doch die Sammlung Georg Schäfer, die hier daraus getroffene Auswahl der über 160 Aquarelle und Zeichnungen, sowie die Anordnung des neuen Themenspektrums lassen auch andere Schlüsse und Erkenntnisse zu. Tatsächlich beginnt die Ausstellung mit „Mensch, Figur, Akt“ als einer originär akademischen Aufgabe, der sich noch heute Künstlerinnen und Künstler im Kunststudium zu stellen haben. Darauf folgt das Kapitel „Familie“, wo die erlernten künstlerischen Fähigkeiten an den Proportionen der Menschen sogleich kritisch in Augenschein genommen werden können. Kritisch besonders dann, wenn wie im Fall des Johann Georg von Dillis die Modelle im Familienkreis gesucht wurden. Dillis zeichnete vortrefflich seinen schlafenden jüngeren Bruder, womit sich erneut der Humor Zutritt verschafft und die Abgrenzung zur Karikatur nicht leichtfällt.
Doch spätestens beim Themenkreis „Landschaft, Umwelt, Naturmonument“ erkennt das Auge auch ein einzigartiges Interesse am Objekt und ist erstaunt, wie die Künstler der Romantik oft ausschnitthaft, detailbewusst und mit zartem Stift vorgingen. Beim Thema „Botanik“ wird anfangs auch bei den darauf spezialisierten Künstlerinnen noch die Diskussion der eigentlichen Systematik deutlich, die heute längst der Taxonomie des Carl von Linné (1707-1778) folgt. Nach 1900 entlockt Lovis Corinth dagegen seinem Aquarell eines in der Wetter-Realität mitunter recht düster wirkenden bayerischen Alpengewässers namens Walchensee ein tiefes Blau jenseits aller naturwissenschaftlichen Erkenntnis.
Ein Blau, das die kantigen Bergzüge, die Wolken wie auch die Betrachter geradezu entmaterialisiert. „Sentimental“ versammelt als modernes Thema Bilder von Menschen, die lieben, leiden und deren Seelenzustand Gefühle auslöst.
Es folgen noch andere spannende Themen, die nicht nur die phantasiereiche Welt der Kunst und ihren Eigenbezug im Sinne von l’art-pour-l’art, sondern oft auch ganz einfach die Sicht auf die damalige Welt eröffnen, eine Welt, die Krieg und Frieden sah und ästhetischen Moden genauso folgte wie den naturwissenschaftlichen Neuerungen. Man wird also nicht unbedingt mit der Erkenntnis „Früher war alles besser“ oder gar „Humor ist Trumpf“ nach Hause oder ins Museumscafé gehen. Es reicht, das Gefühl mitzunehmen, hier auf etwas Unvermutetes, auf etwas Vergangenes und doch irgendwie Aktuelles gestoßen zu sein. Insofern richtet sich diese Ausstellung nicht nur an Freunde der Kunst, sondern auch an Interessierte der deutschen Geschichte, der deutschen Sitten und Gebräuche und, ja: auch des deutschen Humors.
Die Abfolge der Themenkreise wird durch einige Hauptwerke der Künstlergruppe ZERO der 1960-80er Jahre unterbrochen, die an den im Jahr 2019 verstorbenen Großneffen des Sammlers, Dr. Hans Burchard von Harling, erinnern.
Erschienen ist ein neuer Bestandskatalog mit einer Auswahl von über 200 Meisterwerken der Zeichenkunst in der Sammlung Georg Schäfer. Er enthält Abbildungen aller Werke, Texte von 33 Autorinnen und Autoren und die Ergebnisse der mehrjährigen Provenienzforschung.
Kurator: Wolf Eiermann
Museum Georg Schäfer
Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt
Tel.: +49 (0)9721 – 51 4825
Email: mgs@schweinfurt.de
www.museumgeorgschaefer.de
Bild: Lovis Corinth, Schöner Morgen am Walchensee, 1919, © Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
MEISTERWERKE DEUTSCHER ZEICHENKUNST IM 19. JAHRHUNDERT
Jubiläumsjahr 2025 im Museum Georg Schäfer
Veröffentlicht am: 12.10.2025
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