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1951 - ein aufregendes Jahr

Geschichte aus "Halbstark und tüchtig"



(von Liselotte Kubitza, Berlin –Kühlungsborn/Ostsee, Mecklenburg-Vorpommern, Juli–September 1951) Kurz vor unserer Lehrabschlußprüfung als Sozialversicherungskaufmann stehend, galt es für meine Zwillingsschwester Ursel und mich, viel zu lernen, um mit sehr gutem Ergebnis abzuschließen. Außerdem waren wir als Jugendliche unseres Verwaltungsbetriebes, der Versicherungsanstalt Berlin (VAB) im Chor und in der Volkstanzgruppe sehr aktiv. Singen und tanzen bereitete uns trotz des enormen Zeiteinsatzes großen Spaß.

Für die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten im August 1951 in Berlin mußten viele Lieder und Volkstänze aus unterschiedlichen Landesteilen einstudiert werden. Ursel und ich hatten den Vorteil, nach Feierabend zu Hause weiter gemeinsam üben zu können. Wir entwarfen Kostüme und kauften Stoffe ein. Nach mehreren Anproben saßen die Kleidungsstücke perfekt. Aus heutiger Sicht waren die Kostüme einfach, doch für die Nachkriegszeit waren sie etwas Besonderes. Ein Teil der Mädchen trug rote, weite Röcke, der andere blaue, komplettiert mit einer weißen kurzärmligen Bluse mit Puffärmeln und Rüschen am Halsausschnitt.

In der restlichen knappen Freizeit – wir arbeiteten damals bis Samstagmittag – halfen wir unentgeltlich und mit Hunger im Bauch bei der Trümmerbeseitigung, denn unsere Stadt sollte zum Empfang der internationalen Gäste ein ordentliches Bild bieten. Auch beim Einrichten der Schlafgelegenheiten für die Jugendlichen aus nah und fern in Schulen und Turnhallen sowie auf Dachböden packten wir kräftig mit an. Unser Fleiß wurde belohnt. Ursel und ich gehörten zu jenen, die als Festbekleidung neben dem üblichen dunkelblauen Rock sowie einer Bluse und Jacke ein Paar der begehrten schwarzen Lederschuhe guter Qualität gratis erhielten. Das war für längere Zeit unsere Rettung; denn nach drei Jahren Lehrzeit mit einem monatlichen Entgelt von netto 54 bis 108 Mark war unsere finanzielle Lage als Halbwaisen äußerst miserabel. Unsere wenigen Kleidungsstücke hatten wir zudem bei den zahlreichen ehrenamtlichen Arbeitseinsätzen auf Trümmern und in Schulen abgenutzt.

Während der Weltfestspiele waren wir ständig im Einsatz. Als solide, fleißige und saubere Mädchen waren wir dafür ausgesucht worden und von unserer Arbeit für 14 Tage freigestellt. Unter anderem servierten wir im großen festlichen Friedenssaal unserer Hauptverwaltung in der Rungestraße im Stadtbezirk Berlin-Mitte ausländischen Delegationen das Essen. Das bedeutete für uns eine besondere Ehre. Zwei Wochen kamen wir nicht nach Hause, so viel gab es zu tun. Nachts schliefen wir auf aufgeschüttetem Stroh in der großen Halle unserer Verwaltung.

Nachdem das aufregende Ereignis vorüber war, sollte für uns der Ernst des Lebens, die Verwaltungsarbeit als Sozialversicherungskaufmann in der von uns selbst ausgewählten interessanten Rentenabteilung, beginnen. Gerade 18 Jahre alt und somit volljährig, hatten wir das große Glück, von der Betriebsgewerkschaftsleitung einen der begehrten FDGB-Reiseschecks zu bekommen: vierzehn Tage Urlaub in Kühlungsborn an der Ostsee! Niemals zuvor waren wir dort hingekommen, ein verlockendes Angebot!

Nach der ersten Freude lehnten wir die Annahme dankend ab. Obwohl der Scheck nur 30 Mark kostete und die für Gewerkschafter ermäßigte Fahrkarte eigentlich erschwinglich war, konnten wir das Geld nicht aufbringen. Außerdem besaßen wir keine Reisegarderobe. Die Finanzlage unserer Mutter war genauso schlecht, sie konnte uns keinen Zuschuß geben. Die Kollegen der Betriebsgewerkschaftsleitung waren sehr nett und rieten uns, nach den Anstrengungen und Leistungen in diesem Jahr die Reise auf jeden Fall anzutreten. Wir waren körperlich mitgenommen, hatten erhebliches Untergewicht und eine Erholung dringend nötig. Nach langem Überlegen kamen wir zu dem Ergebnis, mit unserem ersten vollen Gehalt von netto 290 Mark abzüglich der Investition in einen Badeanzug leidlich auskommen zu können.

So reisten wir am 30. August 1951 mit den schwarzen Lederschuhen und ansonsten bescheidener, alter Kleidung aufgeregt in Richtung Ostsee, im Gepäck unsere neuen blauen Badeanzüge. Wie in unseren Kindertagen hatten wir den großen schwarzen Koffer dabei, nur, daß wir jetzt erwachsen waren. Das Wetter war uns hold. Wie schön! Die Eindrücke überwältigten uns. Niemals werde ich den ersten Anblick der Ostsee bei Sonnenschein vergessen. Wir spazierten durch den hübschen, sauberen Ferienort, gingen einen abwärts führenden Weg entlang, und plötzlich lag vor uns die See, wie im Bilderbuch, tiefblau mit weißen Schaumkronen auf den Wellen. Dazu das Meeresrauschen – aufwühlend und beruhigend zugleich. Einzigartig wirkten auf uns, die wir aus der grauen Berliner Trümmerlandschaft kamen, die Farben des Himmels, des Wassers und des Strandes, der grünen Kiefern und der bunten Strandkörbe. Einfach phantastisch!

Mit großem Interesse beobachteten wir den hotelähnlichen Tagesbetrieb im FDGB-Heim. Für abendliche Restaurantbesuche hatten wir weder das Geld noch die Garderobe. Die mäßigen Mahlzeiten im Heim mußten ausreichen. Ansonsten ließen wir die Seele baumeln und genossen überglücklich die sonnigen, unbeschwerten Tage.

Einmal fand im Dorf ein eintrittsfreier Tanzabend statt, bei dem wir uns die ganze Zeit mit einer Brause begnügten und uns dennoch toll amüsierten. Wir tanzten gerne und gut. Meine Schwester machte die Bekanntschaft eines jungen Mannes, der sie bis zum Urlaubsende nicht mehr aus den Augen ließ. Ich war stets dabei, lief nebenher. Anscheinend störte das den jungen Mann nicht, für ihn erhöhte sich wohl eher der Reiz durch unsere Ähnlichkeit. An den noch warmen Abenden saßen wir zu dritt im Strandkorb und bliesen Melodien auf dem Kamm.

Als wir gut erholt und braungebrannt wieder daheim waren, schwärmten wir vor unserer Mutter und den Kollegen noch lange von den unvergeßlichen Urlaubseindrücken und gingen mit frischem Elan an die Arbeit. Es sollten noch viele Ostseereisen folgen, so daß wir die Ostsee später als unsere zweite Heimat bezeichneten.

Bild: L. Kubitza

Halbstark und tüchtig
Zeitgut Verlag Berlin 
Preis: 10,90 Euro
ISBN 978-3-86614-114-9

 


Veröffentlicht am: 24.07.2022

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